Westen hat keinen Plan für Reaktion auf Giftgaseinsatz

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Die Vorwürfe Washingtons und Londons, das syrische Regime habe Chemiewaffen verwendet, sind bis jetzt vage. Es gibt kaum den Willen für militärisches Eingreifen.

Gewissheit in Sachen syrischen Giftgaseinsatz sieht anders aus. US-Außenminister Chuck Hagel hat dazu einen bemerkenswerten Satz formuliert: „Unsere Geheimdienste sind mit unterschiedlichem Grad der Zuverlässigkeit zur Einschätzung gelangt, dass das syrische Regime in geringem Maß Chemiewaffen, speziell Sarin, eingesetzt hat.“ Man fragt sich sofort: in welchem Maß und mit welcher Zuverlässigkeit genau? Dazu muss man wissen, dass die Floskel „mit unterschiedlichem Grad der Zuverlässigkeit“ in den USA immer dann zu Einsatz kommt, wenn sich die Geheimdienste nicht einig sind.

Wer sich dann in Richtung Großbritannien wendet, um nach mehr Klärung zu suchen, wird ebenfalls enttäuscht. Das Außenministerium in London erklärte dazu, es habe „begrenzte, aber überzeugende Belege für die Nutzung von Chemiewaffen in Syrien“. Das Problem hierbei ist, dass „begrenzt“ und „überzeugend“ eigentlich im Widerspruch zueinander stehen.

Leider handelt es sich bei dem Vorwurf um keine juristische Spitzfindigkeit. Der Einsatz von Giftgas ist ein Kriegsverbrechen. Umso wichtiger wäre es, ernsthafte Beweise vorzulegen und sie unabhängig im Rahmen der UN untersuchen zu lassen. Denn natürlich denkt jeder sofort an Saddams irakische Massenvernichtungswaffen, die vor zehn Jahren zwar einen Krieg ausgelöst haben, aber am Ende niemals gefunden wurden.

In zweierlei Hinsicht sind Zweifel angebracht, trotz der offensichtlichen Skrupellosigkeit des Regimes in Damaskus, seit Monaten die eigene Zivilbevölkerung zu bombardieren. Chemiewaffen werden in der Regel als letzter Verzweiflungsakt eingesetzt oder wenn sich das Regime sicher ist, straffrei davonzukommen. Ersteres ist in Syrien nicht der Fall. Das Regime Assad steht keinesfalls mit dem Rücken zur Wand und hat in den vergangenen Wochen einige militärische Erfolge gegen die Rebellen vorzuweisen. Von Zweiterem kann Damaskus auch nicht ausgehen, zumal US-Präsident Barack Obama den Einsatz von Chemiewaffen in aller Öffentlichkeit als „rote Linie“ markiert hat.

Obwohl? Denn da wären wir auch schon beim nächsten Problem. Angenommen, der Vorwurf erhärtet sich: Haben die USA und Europa nach zweieinhalb Jahren Inaktivität in Syrien wirklich einen Plan, was in einem solchen Fall geschehen sollte? Denn in Wirklichkeit bräuchte man keine neuen Argumente für ein internationales Eingreifen. Das Regime setzt, und diesmal tatsächlich nachweislich, Clusterbomben und sogenannte Barrel-Bomben ein, Fässer voller Sprengstoff, die von niedrig fliegenden Hubschraubern über zivile Wohngebiete abgeworfen werden. Im Schnitt sterben in den von Rebellen kontrollierten Gebieten jeden Tag mindestens hundert Menschen, meist durch Luft- oder Artillerie-Angriffe. Man bräuchte also keine Chemiewaffen, um den Vorwurf von Kriegsverbrechen zu untermauern.

Zögern bei Flugverbotszone

Was ist also die Konsequenz aus den Giftgasvorwürfen? Das Ganze könnte die Debatte um die Flugverbotszonen wiederbeleben. Oder man könnte offene Ohren für die Forderung der Rebellen haben, sie endlich mit Flugabwehrwaffen auszurüsten.

Beides wird in den USA und Europa als problematisch angesehen. Eine Flugverbotszone kann sich schnell als Türöffner einer vollen militärischen Intervention erweisen. Dazu scheint derzeit niemand bereit. Genauso wenig wie zur Lieferung von Luftabwehrwaffen, aus Angst, dass sie in die Hände der falschen heiligen Krieger fallen könnten. Schließlich könnten damit irgendwann auch US-Maschinen abgeschossen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2013)

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