"Grüne wollen allen ihren Lebensstil aufnötigen"

Christian Lindner
Christian Lindner Michaela Bruckberger
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Christian Lindner gilt als der große Hoffnungsträger der FDP. Der liberale Vordenker über die Hetzjagd auf Steuersünder, schikanierte Handwerker, verantwortungslose Banker und den reichen Nachbarn.

Die Presse: Margaret Thatchers Tod weckte große Emotionen. Sie stand für eine vielen verhasste „neoliberale“ Politik: Rückzug des Staates, radikale Marktorientierung. Für Sie ist das nicht liberal, sondern „neokonservativ“. Warum?

Christian Lindner: Neokonservative wie die Tea Party lehnen den Staat ab. Liberale wollen einen handlungsfähigen Staat, der faire Regeln setzt. Innerhalb dieses Rahmens sollen die Menschen in Freiheit entscheiden können. Wir sind nicht für das Recht des Stärkeren, sondern für die Stärke des Rechts.

Die Menschen fühlen sich frei. Der Staat gilt nicht mehr als Obrigkeit, wir schätzen seine Wohltaten. Wenn wir Zwänge empfinden, dann durchs Wirtschaftssystem, dessen Fahne die FDP hochhält, obwohl es ohnehin übermächtig ist. Wozu also noch Liberale?

Damit nicht die Staatsgläubigen unter sich bleiben. Die Grünen etwa wollen allen ihren Lebensstil aufnötigen. Wir vertrauen auf erwachsene Menschen, die man nicht bevormunden muss. Um es konkret zu machen: Mir hat ein Handwerksmeister kürzlich erzählt, dass er sich den entfesselten Kapitalmärkten vom Staat schutzlos ausgeliefert fühlt. Und dass er andererseits einen starken Staat erlebt, der seinen Betrieb mit bürokratischen Vorgaben lähmt. Das ruft uns Liberale auf den Plan: Wir wollen einen Staat, der die Menschen bei den großen Lebensrisiken nicht im Stich lässt, aber bei den Alltagsfragen in Ruhe.

Wenn jeder macht, was er will, führt das zu Finanzkrisen oder einer kaputten Umwelt. Deshalb der laute Ruf nach Verboten und Regulierung.

Ich bin nicht gegen Regeln. Aber bitte nur solche, die wirksam und nötig sind. Wir Liberale wollen den Staat als Schiedsrichter, nicht als Mitspieler. Zur Freiheit gehört Verantwortung. Man sollte Gründe für sein Handeln angeben können, die vor Vernunft und Moral Bestand haben. Wenn ein Händler der Deutschen Bank nur dafür, dass er Positionen von links nach rechts schiebt, 80 Millionen verdient, fehlen solche Gründe. Das ist wenig verantwortlich.

Da sollte doch der Staat eingreifen?

Ich wüsste nicht, wie. Die DDR hat 40 Jahre lang versucht, den gerechten Lohn festzulegen. Ich habe keine Vorstellung vom gerechten Höchstlohn. Gilt er auch für Fußballprofis, Showstars, Manager? Da finde ich doch besser, wenn Private einen Vertrag schließen. Der Staat sollte das nicht zensieren. Wenn Brüssel Boni-Zahlungen begrenzt, wird das allein nur zu höheren Fixgehältern führen. Die Mentalität muss sich ändern.

Trauen Sie den Banken das zu?

Ja, ich sehe das bereits, auch bei großen Konzernen wie VW. Man kann auch nur ein Filetsteak am Abend essen . . .

Die FDP begrüßt, dass in der Schweiz nun die Aktionäre das Gehalt der Vorstände festlegen. Sie misstrauen also den Aufsichtsräten als „Klüngelrunden“. Warum nicht auch als Männerseilschaften? Warum keine gesetzliche Frauenquote?

Stärkung der Rechte der Eigentümer ist das eine, Einschränkungen der Vertragsfreiheit etwas anderes. Ich will keine künstliche, sondern eine natürliche Quote, also dass sich Frauen im Wettbewerb durchsetzen. Heute finden wir in den Führungsetagen die Generation vor 1960. In dieser Generation waren weniger Frauen berufstätig und hatten weniger hohe Bildungsabschlüsse. Bei den Jahrgängen nach 1975 ist das alles anders. Die werden Karriere machen. Aber heute ist die Zahl der Frauen mit den nötigen Karrierevorläufen schlicht zu klein. Man kann die Leute ja nicht einfach erfinden.

Allgemein gefragt: Wie soll der Staat Verantwortung einfordern?

Wir können den Menschen die Verantwortung nicht abnehmen, sonst müssten wir alles vorgeben und die Freiheit abschaffen. Das Recht muss dafür sorgen, dass niemand auf Kosten anderer seinen Vorteil sucht. Es darf nicht sein, dass große Gewinne an Kapitalmärkten in private Portemonnaies fließen, aber Steuerzahler den Schaden bezahlen. Wir müssen Handeln und Haften zusammenführen. Diese natürliche Risikobremse ist viel wirksamer als Verbote einzelner Produkte. Da werden Marktakteure immer kreativer sein als Politiker.

Die FDP setzte 2009 voll auf Steuersenkungen. Heute wollen Sie lieber Schulden abbauen und erst mittelfristig entlasten. Wann denn?

Es ist nicht akzeptabel, dass der Staat heute zwei Souveräne hat: seine Bürger und seine Gläubiger. Unsere Priorität ist, den Staat aus der Abhängigkeit von den Kapitalmärkten zu befreien. Sonst könnte er auch seiner Aufgabe, die Märkte zu ordnen, nicht gerecht werden. Bis 2017 werden wir Überschüsse haben. Die muss die FDP erst einmal bewachen, damit das Geld nicht sofort von Frau von der Leyen ausgegeben wird. Mit einem Teil davon sollten wir die kalte Progression mildern. Dann wird man sehen, wo Tilgung nötig und Entlastung möglich ist. Wichtig ist: Erhöhungen sind nicht erforderlich, sondern wären ideologisch motiviert.

Durch den Fall Hoeneß sieht sich Rot-Grün bestätigt, dass es richtig war, das Schweizer Steuerabkommen zu kippen. Denn Hoeneß hätte nicht darauf gehofft, wenn er so nicht weniger gezahlt hätte als bei einer Selbstanzeige.

Diese Jagd auf Menschen, die reinen Tisch machen, sollte man zumindest so lange zurückstellen, bis man alle Fakten kennt. Generell ist es besser, mit dem Netz alle Fische zu fangen, als nur einzelne aus dem Wasser zu ziehen. Mit dem Abkommen hätte der Staat viel höhere Einnahmen als durch Einzelfälle von einer Daten-CD. Es ist ein populärer Irrtum, dass das Abkommen einen Rabatt geboten hätte. Oft ist Selbstanzeige günstiger. Nur Anonymität wäre gesichert gewesen.

Auch sie wird nun kritisiert: Wenn jemand Steuern hinterzogen hat, soll die Öffentlichkeit das wissen.

Das wäre der mittelalterliche Pranger. Für was soll der noch kommen? Da werden Vorurteile genutzt, um das Klima aufzuheizen und klassenkämpferische Stimmung zu erzeugen. Nicht jeder Vermögende hinterzieht Steuern. So wie auch nicht jeder, der Hilfen braucht, den Sozialstaat ausnutzt.

Die Vermögensstudie der EZB hat viel Wirbel ausgelöst. Auch deshalb, weil sie zeigt, dass in Deutschland die Vermögen besonders ungleich verteilt sind. Ist das gerecht?

Ich habe kein Vermögen. Mich beschwert es nicht, wenn mein Nachbar mehr hat als ich, solange ich faire Chancen habe. Das größte Gerechtigkeitsproblem sehe ich darin, dass ein Zehntel der Jugendlichen am Ende der Schulzeit nicht ausbildungsfähig ist.

Sehr ungleiche Vermögen schaffen ungleiche Chancen: Wer viel Geld erbt, muss nicht fleißig sein. Warum also keine Vermögensteuer oder höhere Erbschaftssteuer?

Eine Vermögensteuer ist sozialpopulistisch, sie schlachtet die Kuh, die man melken will. Der Großteil unserer Vermögen liegt in mittelständischen Familienbetrieben. Wem ist geholfen, wenn die verkaufen müssen, um ihre Steuer zu zahlen? Die Käufer sind dann anonyme Fonds und börsenotierte Konzerne, so wie in Frankreich. So geht die Gesellschaft auseinander. Da habe ich doch lieber einen Inhaber, der dem Standort verpflichtet und loyal zu seinen Mitarbeitern ist. Das sind vermögende Leute, ja. Aber sie verjubeln ihren Besitz nicht an der Côte d'Azur.

Sie wollen die Bürger auch vor der Macht von Großbanken oder „Datenkraken“ wie Google oder Facebook schützen. Das wird die Wähler kaum überzeugen. Wer die Banken bändigen will, wählt wohl eher die SPD.

Zu Unrecht! Von 1998 bis 2009 gewannen unter sozialdemokratischen Finanzministern die Ratingagenturen an Macht und es wurden Hedgefonds erlaubt . . .

. . . die FDP war aber nicht dagegen.

Wir spielen uns jetzt auch nicht als große Belehrer auf wie die Linken. Liberale haben aber etwa die Ratingagenturen schon damals als Oligopol kritisch gesehen. Mit der FDP in der Regierung ist jetzt eine geordnete Abwicklung von Banken möglich, ihr Eigenkapital wurde erhöht und ungedeckte Leerverkäufe verboten. Wir haben mehr zur Regulierung der Finanzmärkte beigetragen als die SPD. Die hat nur die schärfere Rhetorik.

Wie ernst nehmen Sie die „Alternative für Deutschland“ als Konkurrenz? Laut Umfragen wird diese Anti-Euro-Partei vor allem Ihnen Wähler wegnehmen.

Ich lese andere Umfragen. In jedem Fall ist es die schlechtere Alternative für Deutschland. Eine Wiedereinführung der D-Mark würde zu enormen ökonomischen und auch politischen Risiken führen. Bei einem deutschen Alleingang könnte das europäische Erfolgsprojekt nicht fortgesetzt werden. Scheitert der Euro, dann müssen wir mit ungeordneten Wechselkursen und neuem Protektionismus rechnen. Diese Konzepte sind untauglich.

Da stecken aber kluge Köpfe dahinter, Ökonomen . . .

Wenn man 1990 auf Ökonomen gehört hätte, wäre es nie zur deutschen Einheit gekommen. Man muss gelegentlich auch politisch und in historischen Zusammenhängen denken.

Das hat man bei der Euro-Einführung gemacht. Wir sehen das Ergebnis.


Nein, der Vertrag von Maastricht mit seinen Stabilitätskriterien war genial, nur haben wir die Regeln gebrochen und die Krisenstaaten die niedrigen Zinsen falsch genutzt. Aber das ist passiert. Es gibt keinen Revisionsprozess für gelebtes Leben. Wir müssen nach vorn Lösungen entwickeln. Und uns rückbesinnen: Wohlstand kommt von Wettbewerbsfähigkeit und geordneten Finanzen.

Auf einen Blick

Christian Lindner (34) ist Bundesvizechef der deutschen FDP und Landeschef in Nordrhein-Westfalen. Ab Ende 2009 war er auch Generalsekretär; im Dezember 2011 trat er ohne klare Angabe von Gründen zurück. Als Vordenker der Partei drückte er ihrem Grundsatzprogramm seinen Stempel auf. Lindner gilt als Nachwuchshoffnung und stärkste Personalreserve der Liberalen. So sieht es auch ihr Ehrenvorsitzender Hans-Dietrich Genscher, der mit ihm soeben ein Gesprächsbuch veröffentlicht hat – ähnlich wie es Helmut Schmidt mit Steinbrück machte, um ihn als Kanzlerkandidaten zu lancieren. Der frühere Unternehmer war Teil der „Boygroup“ um Rösler, die Westerwelle stürzte. Sein vorübergehender Rückzug aus der Bundespolitik hatte aber mit Enttäuschung über Röslers Kurs als Parteichef zu tun. Lindner ist seit 2011 mit der „Zeit“-Journalistin Dagmar Rosenfeld verheiratet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2013)

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