Timoschenko-Urteil: Opposition jubelt, Janukowitsch bleibt hart

Julia Timoschenko
Julia Timoschenko(c) EPA (SERGEY DOLZHENKO)
  • Drucken

Der Gerichtshof für Menschenrechte befand, dass die Oppositionsführerin aus Willkür inhaftiert wurde. Das letzte Wort ist nicht gesprochen.

Moskau/Kiew. Die Ukrainer sind weitaus emotioneller, als dies etwa das kühle Pokerface der Boxbrüder Wladimir und Vitali Klitschko vermuten lässt. Dies zeigte sich in den vergangenen beiden Tagen. Wohlgemerkt nur bei der Opposition, dafür aber umso ungebremster. Der Anlass: Am Dienstag hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) befunden, dass die Untersuchungshaft gegen die Ex-Premierministerin Julia Timoschenko im August 2011 „willkürlich“ und „rechtswidrig“ war.

Die 52-jährige Timoschenko, einst Ikone der Orangen Revolution, war verhaftet worden, obwohl das Gerichtsverfahren gegen sie wegen angeblichen Machtmissbrauchs bei der Aushandlung eines Gasvertrages mit Russland noch im Laufen war. Kurz darauf wurde sie zu sieben Jahren Haft verurteilt. Premier Viktor Janukowitsch ist seither politisch isoliert, und die Unterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der EU lässt auf sich warten.

Das wenig überraschende EGMR-Urteil wird also von der Opposition gefeiert wie ein Wahlsieg. Schließlich – so der oppositionelle Boxweltmeister Vitali Klitschko und Timoschenkos Verteidiger Sergej Wlasenko – habe der EGMR befunden, dass die Verfolgung Timoschenkos „politisch motiviert“ sei. Hat er freilich – zumindest expressis verbis – nicht, denn er hat sich nur zur Untersuchungshaft geäußert. Und er hat auch nicht bestätigt, dass Timoschenko von Gefängniswärtern misshandelt worden sei.

Dass die Opposition diese Details nicht sehen will, ist wohl ihrem emotionellen Überschwang zuzuschreiben. Der Sache und dem nüchternen Blick dient es jedoch nicht. Erstens nämlich kann die Regierung, die derzeit noch schweigt, das EGMR-Urteil beeinspruchen und damit unendlich Zeit gewinnen. Zweitens zeichnet sich nicht ab, dass der EGMR in der kniffligen Frage, ob Timoschenkos Verurteilung zu sieben Jahren Haft rechtmäßig war, bald ein Urteil treffen wird. Und drittens ist nicht zu erwarten, dass Timoschenko von Janukowitsch begnadigt wird.

Katz-und-Maus-Spiel mit Europa

Von einem Etappensieg für die Opposition zu sprechen, wäre also verfrüht. Und auch für ein Assoziationsabkommen mit der EU, das schon über ein Jahr hinausgezögert wird, habe das EGMR-Urteil keine Relevanz, erklärt ein EU-Diplomat der „Presse“.

Für ein solches Abkommen sei der Fall Timoschenko zwar „sehr wichtig“, aber neben der Justiz- und Wahlrechtsreform nur ein Punkt von mehreren. Weshalb die EU die Ukraine gestern auch aufgefordert hat, „die Situation von Frau Timoschenko umfassend zu überprüfen“ und eine Justizreform durchzuführen.

Beides kann lange dauern, darauf müssen sich die Opposition und die EU einstellen. „Das EGMR-Urteil ist nur die erste Runde in einem langwierigen politischen und juristischen Kampf um Timoschenko“, erklärt der ukrainische Politologe Wladimir Fesenko: „Wahrscheinlich wird ihr Schicksal politisch gelöst – nach den Präsidentenwahlen 2015.“ Bis dahin will Janukowitsch seine gefährliche Konkurrentin hinter Gittern wissen. Und bis dahin wird er mit Europa und der Opposition Katz und Maus spielen.

Auf einen Blick

Die Ukraine hat die Oppositionsführerin Julia Timoschenko nach Ansicht des Menschenrechtsgerichtshofs zu Unrecht verhaftet. Die Inhaftierung der Ex-Regierungschefin sei willkürlich gewesen, entschied der EGMR.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.