Großbritannien: "Verrückte, Beklopfte und geheime Rassisten"

UKIP-Chef Nigel Farage ist schlagfertig, charismatisch – und kaum von Skrupeln geplagt.
UKIP-Chef Nigel Farage ist schlagfertig, charismatisch – und kaum von Skrupeln geplagt.(c) EPA (FACUNDO ARRIZABALAGA)
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Die UK Independence Party holte bei den jüngsten Lokalwahlen in England und Wales ein Viertel der Stimmen. Die extrem rechte Partei lehnt die EU und Einwanderer ab und lehrt das Establishment das Fürchten.

London. Seine Partei hat keinen einzigen Abgeordneten im Parlament, er selbst sitzt im Europaparlament gleichsam in der Schmuddelecke. Doch seit Monaten geriert sich Nigel Farage, als würde er Großbritannien regieren. Mit dem sensationellen Erfolg seiner UK Independence Party (UKIP) bei den Lokalwahlen in weiten Teilen Englands und Wales, bei denen seine Partei im Durchschnitt ein Viertel aller Stimmen gewann, sieht sich Farage bestätigt. „Wir sind jetzt die wahre Partei des Protests“, sagte er und drohte den etablierten politischen Kräften: „Das ist eine Zeitenwende.“

Vor 20 Jahren gegründet, bewegte sich UKIP viele Jahre am Rand der politischen Bedeutungslosigkeit. Ihr Aufstieg beginnt vor 2010 mit zwei Ereignissen: Mit Nigel Farage tritt eine charismatische und schlagfertige Führungspersönlichkeit an die Spitze der Partei, der den Smalltalk mit der Landbevölkerung von Cornwall ebenso gut beherrscht wie das politische Palaver mit kritischen Journalisten in London. „Es gibt eine Sache, die ich wirklich bewundere an David Cameron“, sagte Farage vor einiger Zeit der „Times“: „Er hat den Prozess des Grauwerdens seiner Haare gestoppt.“

Das zweite Ereignis ist die Bildung einer Koalitionsregierung zwischen Camerons Konservativen und den Liberaldemokraten 2010, für viele Tories ein bis heute nicht vergessener Verrat. Farages Spott über Camerons Haare spielt geschickt mit der Kritik vieler Konservativer, dass der Premier keine wirkliche politische Überzeugung verfolge. Farage nützt das aus und gibt seit Monaten etwa in der Europapolitik die Linie vor.

Dabei fordert UKIP den sofortigen Austritt Großbritanniens aus der EU. „Wir wollen wieder Herren im eigenen Haus sein“, fordert die Partei. Dazu passt auch eine feindliche Haltung gegenüber Einwanderern. Wirtschaftspolitisch meint die Partei, dass nach einem EU-Austritt Milch und Honig fließen werden und verspricht gleichzeitig Steuersenkungen und vermehrte Sozialausgaben.

„Die anderen Parteien sind alle gleich“

Dass dies offensichtlicher Unsinn ist, scheint die Wähler nicht zu stören: „Wir sind die einzige Alternative“, sagt Farage. „Unsere Wähler lehnen das Establishment ab und das zu Recht: Die anderen Parteien sind doch alle gleich.“ Der Meinungsforscher Sebastian Shakespeare hat als Motive für die Wahl von UKIP einerseits eine „Antipolitikstimmung“ und andererseits eine starke Identifizierung mit Farage erhoben.

Was UKIP den Wählern verspricht, ist die Rückkehr zu einem angeblichen britischen „Idyll“ der Vergangenheit, in dem man im Pub noch ohne Ausländer unter sich war, keine EU-Richtlinien das Trinken und Rauchen behinderten und man(n) sich auch einmal eine sexistische Bemerkung erlauben durfte. „Endlich jemand, der sagt, was ich denke“, ist einer der Hauptgründe für die Wahl von UKIP. Ihren größten Zuspruch findet die Partei unter unzufriedenen Konservativen: Sechsmal mehr Tory-Wähler können sich eine Stimmabgabe für UKIP vorstellen als Labour-Anhänger.

Doch warnt Labour-Vizechefin Harriett Harman zu Recht: „Wir machen es uns zu einfach, wenn wir UKIP-Wähler einfach als Protestwähler abstempeln.“ Genau das versuchte Cameron in der Vergangenheit: Als „Verrückte, Beklopfte und geheime Rassisten“ bezeichnete er die Partei und ihre Anhänger vor Jahren. Unter UKIP-Kandidaten befinden sich ehemalige Striptänzer ebenso wie Leute, die sich beim Nazi-Gruß fotografieren ließen („Ich habe meine Topfplanze imitiert“). Gefruchtet hat es nichts. Heute geben sie ihm das Tempo etwa in der EU-Politik vor. „Jedes Mal, wenn uns Cameron attackiert, legen wir um zwei Prozentpunkte zu“, freut sich Farage.

Dem Aufstieg seiner Partei sind dennoch Grenzen gesetzt. Zwar wird es für möglich gehalten, dass UKIP bei der Europawahl im nächsten Jahr sogar stärkste Partei wird. Doch bei der Unterhauswahl 2015, die nach dem Mehrheitswahlrecht stattfinden wird, kann UKIP nur zwischen zwei und zehn Sitze gewinnen. Farage weiß das: „Wir können das System nur ändern, indem wir es von innen aufbrechen und die anderen zwingen, sich nach unseren Vorstellungen zu ändern.“

Die United Kingdom Independence Party wurde vor 20 Jahren gegründet. Lange Zeit blieb sie irrelevant, bis Nigel Farage die Führung übernahm. Bei den Lokalwahlen holte die Formation nun durchschnittlich ein Viertel der Stimmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2013)

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