US-Außenminister spricht von »starken Beweisen« für Chemiewaffeneinsatz Assads.
Die USA vollführen einen Eiertanz um ihre Definition der „roten Linie“, deren Überschreitung einen militärischen Einsatz gegen das Assad-Regime rechtfertigen würde. Außenminister John Kerry hat nun Präsident Barack Obama unter Zugzwang gebracht, als er in einer Online-Plauderstunde von „starken Beweisen“ für Chemiewaffenangriffe der syrischen Regierungstruppen gegen die Rebellen sprach. Das Regime in Damaskus habe eine „schreckliche Wahl“ getroffen, stellte Kerry fest. Es zeige die Bereitschaft, „überall zu töten und Gas einzusetzen“.
Obama hatte sich im Vorjahr festgelegt: Er definierte Chemiewaffenattacken im syrischen Bürgerkrieg als „rote Linie“, die ein Eingreifen Washingtons erzwingen würde. Nach jüngsten Berichten aus Syrien wurde in den USA der Ruf der Öffentlichkeit und der republikanischen „Falken“ um Senator John McCain nach einer Intervention immer lauter. Das Weiße Haus gab vorerst lediglich die Floskel aus, die Vorwürfe zu überprüfen. Mit der Wortmeldung Kerrys könnte sich jetzt ein Kurswechsel der US-Regierung abzeichnen.
Zuletzt hatte die Türkei, als Nato-Partner in der Region eine gewichtige Stimme, die USA zu einem Militäreinsatz gedrängt. In einem Interview mit dem US-Sender NBC ließ der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan keinen Zweifel an seiner Position. Syrien habe sich bereits „vor langer Zeit“ entschlossen, mit Chemiewaffen zu operieren. Die „rote Linie“ sei längst überquert. In türkischen Spitälern seien Verletzte versorgt worden, deren Wunden von Chemiewaffen rühren, erklärte Erdogan. Er plädierte für die Einrichtung einer Flugverbotszone unter Patronanz der USA.
Die Zeit für eine Friedenslösung drängt. In dieser Woche versuchte John Kerry bei seinem Moskau-Besuch, Russland – die langjährige Schutzmacht Syriens – auf die Seite einer Anti-Assad-Allianz zu ziehen. Russland tritt neuerdings für eine Übergangsregierung in Damaskus ein. Kerry rang dem Kreml immerhin die Zusage ab, gemeinsam eine internationale Syrien-Konferenz zu organisieren. Wegen Uneinigkeit über die Teilnehmerliste verschiebt sich der Termin allerdings voraussichtlich in den Juni.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2013)