In der Türkei wächst nach dem Bombenanschlag in Reyhanli mit 46 Todesopfern der Druck auf arabisch-alawitische Minderheit. Als Attentäter werden Linksextremisten und al-Qaida verdächtigt.
Istanbul. Nach dem Bombenanschlag in Reyhanli wächst die Furcht vor Spannungen zwischen Sunniten und Alawiten in der Türkei. Ein führender Menschenrechtler warnte am Montag vor Racheakten gegen Alawiten, aus deren Reihen die Bombenleger gekommen sein sollen. Die türkische Opposition machte hingegen syrische Rebellen mit Verbindungen zu al-Qaida verantwortlich und warf der Regierung vor, das Land mit dem Hinweis auf die angebliche Täterschaft von Assad-Anhängern zu belügen.
Ismail Boyraz, Generalsekretär des türkischen Menschenrechtsverbandes IHD, äußerte im Gespräch mit der „Presse“ die Sorge, der Anschlag von Reyhanli mit seinen 46 Todesopfern könnte die Spannungen in der Grenzprovinz Hatay verschlimmern. Schon vor der Tat seien arabische Alawiten in Hatay, die mit den in Syrien regierenden Alawiten verwandt sind, besorgt gewesen, weil bewaffnete syrische Rebellen in den Straßen unterwegs waren. Künftig könne sich der Konflikt zwischen sunnitischer Mehrheit und alawitischer Minderheit in Syrien noch mehr auf türkisches Gebiet ausweiten, befürchtet Boyraz: „Racheakte gegen Alawiten sind möglich.“
Aus Sicht der türkischen Opposition ist die Regierung von Premier Recep Tayyip Erdoğan mitverantwortlich für diese Entwicklung. Ankara habe die Grenzregion den syrischen Rebellen überlassen, sagte der Oppositionsabgeordnete Mehmet Ali Ediboğlu aus Hatay zur „Presse“. Dafür bezahle die Türkei nun. Ediboğlu widersprach der These der Regierung, der Anschlag von Reyhanli sei von Mitgliedern der linksextremen türkischen Splittergruppe „Acilcilar“ im Auftrag des syrischen Geheimdienstes verübt worden: Das „sehr professionelle“ Attentat deute vielmehr auf die Täterschaft der syrischen al-Nusra-Gruppe hin.
Die zum al-Qaida-Netzwerk gehörenden Extremisten von al-Nusra, die in den Reihen der Rebellen kämpfen, hätten die Bomben gezündet, um die Türkei auf der Seite der syrischen Opposition in den Krieg zu ziehen, sagte Ediboğlu. Dafür spreche unter anderem die Tatsache, dass die Bombenfahrzeuge aus einer von al-Nusra kontrollierten Gegend Syriens eingeschmuggelt worden seien. Erdoğan wolle all das aber verheimlichen, weil die Regierung sonst wegen ihrer Unterstützung für die syrischen Rebellen in Erklärungsnotstand käme. Deshalb hätten die Behörden in Reyhanli eine Nachrichtensperre verhängt. Erdoğan selbst hingegen erneuerte am Montag seine Vorwürfe gegen Damaskus. Die Spuren zur syrischen Regierung seien deutlich, sagte er.
Kampfflugzeug abgestürzt
Am Montag sorgte auch die Nachricht vom Absturz eines türkischen Kampfflugzeuges für weitere Spannungen im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Die Maschine vom Typ F-16 verschwand plötzlich von den Radarschirmen. Später meldete der türkische Fernsehsender NTV, das Flugzeug sei aufgrund eines Unfalls abgestürzt. Im Juni vor einem Jahr ist ein türkischer Jet von der syrischen Luftabwehr abgeschossen worden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2013)