Wie Japans Umgang mit der Geschichte die Zukunft blockiert

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Immer wieder sorgt der undiplomatische Umgang japanischer Politiker mit der schmutzigen Vergangenheit für heftige Empörung in den früheren Opferstaaten.

Tokio. Man stelle sich vor: China, Japan, Südkorea und vielleicht Russland wären der Kern einer „Ostasiatischen Union“. Welche geballte politische und ökonomische Kraft würde dann auf die übrige Welt prallen? Diese Vision bleibt Illusion, solange Japan mit jedem Streit hat – meist steckt seine Kriegsvergangenheit dahinter.

Fahrlässige Dummheit oder gezielte Provokation? Man fragt sich, was etwa Osakas Oberbürgermeister Toru Hashimoto getrieben hat, als er Japans zu Kriegszeiten betriebene Sexsklaverei jüngst als „notwendig“ verteidigte. Euphemistisch „Trostfrauen“ genannt, mussten hunderttausende Chinesinnen oder Koreanerinnen der kaiserlichen Armee zu Diensten sein, um „Disziplin“ und „Moral“ der Truppe aufrechtzuerhalten, fabulierte der nationalistisch orientierte, beim Volk ziemlich beliebte Jurist Hashimoto.

Immer wieder sorgt der undiplomatische Umgang japanischer Politiker mit der schmutzigen Vergangenheit für heftige Empörung in den früheren Opferstaaten. In Peking oder Seoul fürchtet man, dass die Geschichtsverzerrung unter dem neuen Premier Shinzo Abe wieder Blüten treibt. Schon in seiner ersten Amtszeit hatte Abe für einen ostasiatischen Aufschrei gesorgt, als er die Zwangsprostitution infrage stellte und seither hartnäckig verweigert, sich bei den schätzungsweise 200.000 in Soldatenbordellen missbrauchten Frauen und Mädchen zu entschuldigen.

Auch 68 Jahre nach Kriegsende hat die konservative Politikerkaste in Tokio noch immer nicht akzeptiert, dass Japans Zukunft vom Umgang mit seiner Vergangenheit abhängt. Dafür spricht auch der – von beiden Seiten – provokativ geführte japanisch-chinesische Konflikt um eine unbewohnte, aber strategisch wichtige Inselgruppe (s. Geschichte unten). Der Streit um Senkaku (japanisch)/Diaoyu (chinesisch) – könnte eigentlich längst gelöst ein. Die gigantischen Erdgasvorkommen im Ostchinesischen Meer könnten weder finanziell noch technisch von einem einzigen Staat sinnvoll erschlossen werden. Eine regionale Kooperation – auch Taiwan, die Philippinen und Südkorea sind interessiert – wäre das Gebot der Vernunft.

Konflikt behindert Handel

Stattdessen belauern und bedrohen einander rings um die Felsen immer wieder japanische und chinesische Kriegsschiffe, Kampfflugzeuge oder auch nur private nationalistische Provokateure. Beide Seiten beharren auf internationalem Recht, das allerdings sehr unterschiedlich interpretiert wird, berufen sich auf unverbindliches Gewohnheitsrecht oder wollen vollendete Tatsachen schaffen. Jüngster Streich ist Tokios Vorstoß, die teils im japanischen Privatbesitz befindlichen Inseln staatlich aufzukaufen und damit Souveränitätsansprüche zu usurpieren.

Noch verfahrener sind die Fronten weiter nördlich im japanisch-russischen Streit um vier Kurilen-Inseln, die in den Schlusstagen des Zweiten Weltkrieges im Sommer 1945 von sowjetischen Truppen erobert wurden. Dieser Konflikt, hinter dem auch bedeutende Fischereirechte und militärstrategische Erwägungen stehen, hat bisher einen Friedensvertrag zwischen diesen beiden großen Pazifik-Mächten verhindert. Blockiert wird dadurch auch und vor allem die Entwicklung des Handels: Premier Abe und Russlands Präsident Wladimir Putin waren sich kürzlich wenigstens einig, dass der Zustand „abnormal“ sei.

Mit Russland gegen China?

Diese Einsicht hat jedoch ihre Ursache in Peking. Abe will durch Annäherung an Russland den Einfluss Chinas in Fernost zurückdrängen, und Moskau will verhindern, dass seine Außenhandelsbeziehungen in der Pazifik-Region durch China monopolisiert werden. Deshalb führte Abe auch 120 hochkarätige Wirtschaftsbosse im Schlepptau, wurden Verträge in mehrfacher Milliardenhöhe unterzeichnet. Ökonomie – da waren sich Putin und Abe einig – ist das Bindemittel, um das fragile Gebäude der Nachkriegsgeschichte nicht völlig zum Einsturz zu bringen.

Schwierig ist eine Lösung vor allem auch deswegen, weil auf den rund 5000 Quadratkilometern großen Inseln nördlich der japanischen Hauptinsel Hokkaido und südöstlich des sibirischen Sachalin 19.000 Menschen leben. Dem Pass nach Russen, der Herkunft nach aber oft Japaner. Tokio besteht auf der wenigstens teilweisen Rückgabe, was für Russland ein inakzeptabler Verzicht auf „Muttererde“ bedeuten würde. Bliebe eine internationale Konfliktlösung.

Investoren aus Südkorea, den USA, Japan und China stünden bereit, mit einheimischen Unternehmen Joint Ventures bei Öl, Gas und Fisch zu gründen, behauptet Moskau. Aber mit wem sollen diese über ihre Rechte verhandeln, solange Japan und Russland so über Kreuz sind?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2013)

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