Martti Ahtisaari: „Solidarität beginnt im eigenen Land“

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Der finnische Friedensnobelpreisträger Martti Ahtisaari über die Krise in der EU, den Beitritt der Balkanstaaten und Stolpersteine auf dem Weg zu Friedenslösungen.

Die Presse: Eine der Grundideen der EU ist Solidarität. Funktioniert das in Zeiten der Krise noch?

Martti Ahtisaari: Ich bin nicht verwundert über das, was wir derzeit durchmachen. Es gibt verschiedene Traditionen in verschiedenen Ländern. Man übernimmt nicht dieselben Verwaltungsprinzipien, auch wenn man der EU beitritt. Einige Staaten, so wie mein Land, sind durch sehr schwierige Krisen Anfang der Neunzigerjahre gegangen. Damals wurde uns eine Lektion erteilt, wie wir unsere Fiskalpolitik betreiben und für unsere wirtschaftliche Entwicklung und Wettbewerbsfähig sorgen müssen, die eine anständige Beschäftigung für jeden garantiert. Was wir jetzt durchmachen, ist eine wichtige und am Ende vielleicht positive Entwicklung. Denn wir erkennen, dass wir uns in Europa – was immer unser jeweiliger Hintergrund und unsere Geschichte sind – gerade angesichts der Globalisierung weiterentwickeln müssen. Wir müssen unseren Jugendlichen eine bessere Ausbildung zukommen lassen, damit wir konkurrenzfähig sind.

Die Krise hat wieder viele Vorurteile an die Oberfläche gebracht – etwa zwischen Deutschland und Griechenland. Sind das nicht Warnsignale, dass es heute weniger Solidarität in Europa gibt als noch vor zehn Jahren?

Solidarität und Verantwortung beginnen zu Hause. Wir haben in vielen Ländern, die jetzt Probleme haben, gesehen, dass es etwa dort sehr reiche Personen gibt, die aber keine Steuern bezahlen. Es hat wenig Sinn, über Solidarität von außen zu sprechen, wenn es keine Solidarität im Land selbst gibt.

Auf dem Balkan funktionierte die EU in den vergangenen Jahren als Friedensprojekt noch ganz gut. Aber jetzt herrscht in der EU Erweiterungsmüdigkeit. Und es gibt Stimmen, dass man nach dem Beitritt Kroatiens die Neuaufnahmen stoppen sollte.

Ich hoffe, dass wir den Erweiterungsprozess nicht nach Kroatien stoppen. Wir sollten darauf bauen, dass Länder wie Serbien oder der Kosovo EU-Mitglieder werden. Aber wir müssen sehr strikt sein. Wir dürfen niemandem erlauben beizutreten, der nicht alle nötigen Kriterien erfüllt. Wir sollten hier von früheren EU-Erweiterungen lernen. Wir müssen alles verlangen, was von uns selbst verlangt wurde, als wir beigetreten sind. Aber wir müssen auch anerkennen: Ohne die Hoffnung auf den Beitritt zur EU hätte es diese positiven Entwicklungen in Ost- und Südosteuropa nicht gegeben.

Sie waren der UN-Chefvermittler für den Kosovo und haben gemeinsam mit Albert Rohan den Ahtisaari-Plan für den Kosovo ausgearbeitet. Wenn Sie sich heute die Lage dort anschauen: Hat der Plan funktioniert?

Wir haben in unserem Plan den bestmöglichen Schutz von Minderheiten – inklusive der Serben – festgelegt. Die Serben haben nun langsam verstanden, dass sie, wenn sie auf einen EU-Beitritt hoffen, anerkennen müssen, dass es einen unabhängigen Kosovo gibt. Ich denke, was (EU-Außenbeauftragte, Anm.) Lady Ashton jetzt zwischen Belgrad und Prishtina zustande gebracht hat, ist sehr wichtig. Das sendet eine klare Botschaft an die Parteien, zu implementieren, was sie vereinbart haben. Und es dient der Idee, dass die Balkanländer der EU beitreten können.

Aber auch mehrere EU-Länder erkennen den Kosovo nicht als Staat an. Und im Fall Syrien konnten sich die EU-Außenminister nicht darauf einigen, ob die Rebellen bewaffnet werden sollen. Gibt es eine EU-Außenpolitik?

Wir müssen uns hier zuerst eine andere Dimension anschauen: den UN-Sicherheitsrat. Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates haben eine besondere Verantwortung. Die Probleme beginnen dort. Wenn im Fall Syrien irgendwann die einzige Option ist, mehr Waffen zu liefern, sodass eine Seite am Ende gewinnt, würde das zeigen, dass unsere Organisationen nicht mehr in der Lage sind, friedliche Lösungen zu suchen.

Was sind die wichtigsten Parameter, um einen Konflikt zu lösen?

Zuerst müssen die Streitparteien darauf vorbereitet sein, eine Lösung zu finden. Und jeder Friedensvermittler, ob Kofi Annan, Lakhdar Brahimi oder ich selbst, kann gar nichts machen, wenn ihn die wichtigsten Akteure nicht unterstützen. Hier sind die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates gefragt. Beim Kosovo schien es Anfang 2006, dass Russland und China eine Unabhängigkeit nicht stoppen und sich im Sicherheitsrat der Stimme enthalten würden. Das ist nicht geschehen. Warum? Weil sich das bilaterale Verhältnis zwischen Russland und den USA verschlechtert hat – wegen der Diskussion über den US-Raketenabwehrschild. Das hat den Kosovo-Prozess gestoppt, obwohl es gar nichts mit dem Kosovo zu tun hatte.

Zur Person

Finnlands Ex-Präsident Martti Ahtisaari trat bei zahlreichen internationalen Konflikten als Vermittler auf, unter anderem 2006 bei den Kosovo-Verhandlungen. 2008 erhielt er den Friedensnobelpreis.

Am Dienstag, 4. Juni, um 18.30 Uhr diskutiert Martti Ahtisaari mit „Presse“-Außenpolitikchef Christian Ultsch und Ivan Krastev vom Institut für die Wissenschaften vom Menschen zum Thema „Geht unsere Vision von Europa verloren?“.

Wo? IWM, Spittelauer Lände 3, 1090 Wien, Eintritt frei. Anmeldung unter: leservorteile@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2013)

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