"China will die Welt verändern"

Noah Feldman von der Harvard University erklärt im "Presse"-Gespräch, wie eine militärische Eskalation des neuen "Kühlen Krieges" zwischen Peking und Washington verhindert werden kann.

Die Presse: Womit kann man das Verhältnis zwischen den USA und China heute vergleichen: Mit der Militanz zwischen Deutschland und Großbritannien 1914 – oder mit dem Einvernehmen zwischen Deutschland und Frankreich nach 1945?

Noah Feldman: Es ist eine Kombination aus beidem. Einerseits ist China eine aufstrebende Großmacht, die die Welt so verändern will, dass Amerika nicht mehr die einzige Supermacht ist. Das ist ein Rezept für einen klassischen Konflikt großer Mächte. Gleichzeitig aber ist die gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit sehr stark. Die ist meiner Ansicht nach eine gute Sache. Sie bedeutet, dass die beiden Länder einander keinen Krieg erklären könnten, ohne weitreichende wirtschaftliche Folgen auszulösen. Darum spreche ich von einem „Kühlen Krieg“.

Sie argumentieren in Ihrem Buch, dass Amerika die sicherheitspolitischen Versprechen an seine asiatischen Verbündeten nur einhalten kann, wenn es die einzige globale Supermacht bleibt. China will genau diese amerikanische Hegemonie beenden. Wie bringt man das unter einen Hut?

Eine Möglichkeit ist, dass China zur Einsicht gelangt, dass es seine wirtschaftlichen Interessen durch engere Zusammenarbeit mit anderen asiatischen Nationen verfolgen kann und dass es damit zufrieden ist, der vorherrschende wirtschaftliche Akteur zu werden, ohne zum regionalen militärischen Hegemon aufzusteigen. Das ist nicht völlig unmöglich. Man könnte argumentieren, dass der Aufstieg zur regionalen militärischen Großmacht die Wirtschaftsbeziehungen zu den Nachbarn so stark beeinträchtigen würde, dass es das nicht wert wäre. Die Legitimität der Kommunistischen Partei beruht nämlich einzig darauf, ständiges Wirtschaftswachstum zu liefern. Wenn Aufrüstung das Wachstum verringert, reduziert das den Anreiz für Chinas Führung enorm. Diese strategischen Überlegungen muss Amerikas Führung im Kopf haben. Dazu ist aber eine ziemlich harte amerikanische Linie in Sicherheitsfragen nötig. Mit dem Cyber-Diebstahl hat China nämlich ein Mittel, um seinen technologischen Rückstand rasant zu verringern.

Gibt es für China irgendeinen Grund, seine

Cyberangriffe auf die USA zu beenden?

Nein. China hat großen Nutzen daraus gezogen, ohne sich wirkliche Kosten aufzubürden. Obama muss Xi also klar kommunizieren, was die Kosten dieses Cyberkriegs sind. Es wäre natürlich viel zu riskant, diese Kosten in gegenseitiger militärischer Eskalation auszudrücken. Klüger wäre es, zu sagen: Schaut, Amerika ist bereit, mehr für Produkte zu zahlen, die nicht aus China kommen, und weniger Käufer für unsere Staatsanleihen zu haben, also wirtschaftlich für diese Cyberangriffe zurückzuschlagen.

Derzeit betreibt China Pandabären-Diplomatie: Peking droht, zwei Bären aus dem Schönbrunner Tiergarten abzuziehen, weil Österreichs Regierung den Dalai-Lama empfangen hat.

Das ist sehr ungeschickt. Es ist das Ergebnis von signifikantem Nationalismus, verbunden mit einer Angst, dass China Gefahr läuft, durch systematischen äußeren Druck in der Menschenrechtsfrage zerrissen zu werden. Peking betrachtet Tibet ja als Teil Chinas. Wenn die Regierung von Österreich den Dalai-Lama empfängt, tut sie das aber nicht, weil sie sich davon einen unmittelbaren geostrategischen Effekt erwartet. So löst also eine symbolische Geste auf der einen Seite eine symbolische Geste auf der anderen aus. Und das legt nahe, dass China für die Kritik von Menschenrechtsgruppen anfällig ist.

Zur Person

Noah Feldman ist Rechtsprofessor an der Harvard University. Seine Schwerpunkte liegen im Vergleich von Verfassungssystemen und im islamischen Recht. Nach dem US-Einmarsch im Irak beriet er 2003 die provisorische Regierung bei der Schaffung einer Übergangsverfassung. Sein neues Buch „Cool War: The Future of Global Competition“ ist soeben bei Random House erschienen. [Costa]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2013)

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