Staatsfeind Nummer eins: Ohne Highschool-Zeugnis, aber mit einer Mission

Staatsfeind Nummer eins: Ohne Highschool-Zeugnis, aber mit einer Mission
Staatsfeind Nummer eins: Ohne Highschool-Zeugnis, aber mit einer Mission(c) EPA (Glenn Greenwald/Laura Poitras)
  • Drucken

Edward Snowden empfindet sich als Patriot, nicht als Held. Der 29-jährige Internetspezialist zeigte die Dimension des Überwachungsstaats auf. Jetzt hofft er auf Asyl in Island.

Wien/Hongkong. Von seinem Hotelzimmer in Hongkong, das er in den vergangenen drei Wochen nur dreimal verlassen haben will, malt sich der derzeitige US-Staatsfeind Nummer eins die Szene süffisant aus. Die CIA-Agenten im US-Konsulat, gleichsam um die Ecke des Luxushotels, müssten jetzt wohl rotieren, da er sich als Quelle für die Serie an Enthüllungen über die NSA geoutet habe, sagt Edward Snowden im Videointerview mit der britischen Zeitung „Guardian“. Das Blatt war schon bei der WikiLeaks-Aufdeckung federführend. Die Depeschen des US-Außenministeriums sorgten vor zwei Jahren für Furore.

Die Szenerie entfaltet konspirativen Charakter wie in einem zweitklassigen Agententhriller. Koffer, eine Dick-Cheney-Biografie und Überreste von Mahlzeiten sind übers Bett verstreut. Wenn er sein Passwort eintippt, zieht sich der blasse 29-Jährige, der mit Brille und Dreitagesbart dem klischeehaften Typus des Internet-Nerds entspricht, aus Angst vor Überwachungskameras eine Kapuze über den Kopf. Vor der Tür drapierte Polster sollen eine Abhöraktion verhindern.

Die Tradition des Whistleblowers

Doch in dem Interview mit dem „Guardian“-Journalisten Glenn Greenwald formuliert er bedächtig und unaufgeregt, erfüllt von der Mission eines Whistleblowers – eines Überzeugungstäters, der Missstände ans Tageslicht zerrt, um so die Gesellschaft zu warnen. „Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, in der alles, was ich sage und tue, aufgenommen wird“, lautet sein Motiv. „Sie haben keine Ahnung, was alles möglich ist“, raunt er in dem Gespräch. Weltverschwörung ist nicht seine Intention, sondern Aufklärung. „Ich habe nicht die Absicht, zu verstecken, wer ich bin, weil ich weiß, dass ich nichts Unrechtes getan habe.“ Daniel Ellsberg akklamiert Snowden bereits als „Helden“, als der er sich selbst jedoch nicht empfindet. 1971 spielte Ellsberg in mühevoller Kleinarbeit, mittels kopierter Dokumente, der „New York Times“ die „Pentagon Papers“ zu, die Aufschluss gaben über die Planung des Vietnam-Kriegs.

Mit Whistleblowern wie Snowden kennen die USA keinen Pardon. Just am Montag begann in Ford Meade in Maryland der Prozess gegen Sergeant Bradley Manning, der als unterbeschäftigter Computerspezialist im Irak-Krieg den WikiLeaks-Skandal ins Rollen gebracht hatte. Im Unterschied zu Manning, betont Snowden, habe er jede Information vor der Veröffentlichung auf ihr potenzielles Risiko für US-Bürger geprüft.

Fort Meade war auch Durchzugsstation im Leben Snowdens. Aufgewachsen in North Carolina zog der Jugendliche mit seiner Familie in die Nähe der Garnisonsstadt unweit von Baltimore, den Sitz des hochgeheimen, ominösen Nachrichtendienstes NSA. Weil er nicht über einen Highschool-Abschluss verfügt und sich sein Patriotismus am Irak-Krieg entzündet, meldet er sich freiwillig zur Armee. Nach einem doppelten Beinbruch und der Erkenntnis, dass sich die Ausbildner am Töten „aufgeilen“, übernahm er einen Job als Wächter an der NSA-Akademie, wechselte danach als Internettechniker zur CIA (unter anderem in Genf), bevor er wieder als Computerspezialist einer Vertragsfirma bei der NSA anheuerte – zuerst in Japan, schließlich auf Hawaii.

Der Plan, die Dimension des Überwachungsstaats zu enthüllen, reifte lange – und als schließlich auch Barack Obama als Präsident seine Hoffnungen enttäuschte, setzte er seinen Masterplan um. Er meldete sich krank – er leidet an Epilepsie –, weihte weder Freundin noch Familie ein und flog vor drei Wochen nach Hongkong. Nun hofft er auf Asyl in Island. „Meine Optionen sind schlecht, aber ich bereue nichts.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.