Mit kreativ-chaotischen Happenings zeigt man in Sofia den Unmut über die Politik.
Sofia/som. Wenn sich die Demonstranten allabendlich versammeln, hat sich die drückende Hitze aus den Straßen Sofias noch nicht verzogen. Seit zehn Tagen demonstrieren in Bulgarien Tausende, und wenn es Mitternacht wird, quellen die Mistkübel über von Wasser- und Bierflaschen.
Anders als im Februar demonstriert diesmal vor allem die junge städtische Bevölkerung. „NOligarchia“ steht auf den Plakaten, „Revolution der Vernunft“ nennen es Kommentatoren. Protestierten im Winter verarmte Bürger gegen hohe Lebenshaltungskosten und die Sparpolitik der rechtspopulistischen Regierung Borissow, so gleichen die neuen Kundgebungen spontanen Happenings, die kreativ-chaotisch gegen die attestierte „Unverfrorenheit“ der Politik angehen.
Die „Unverfrorenheit“ lag darin, dass die neue linksliberale Regierung den 32-jährigen Deljan Peewski zum Chef des Geheimdienstes Dans machen wollte. Peewski personifiziert für viele die ungesunde Verflechtung von Wirtschaftsinteressen und Politik. Seine Mutter führt ein einflussreiches Medienhaus, dessen Titel für Borissows Regierung Stimmung machten. Jetzt haben sich die Blätter gewendet – und auch Peewski. Kolportiert wird, dass er als Dans-Chef mit Zugang zu Geheimunterlagen eine Schlüsselposition beim „Aufräumen“ mit Mitgliedern der früheren Regierung einnehmen sollte. Politischer Neuanfang sieht anders aus, sagen die Kritiker, die Regierung habe das Vertrauen verspielt. Auf den Straßen Sofias ruft man seither zum „Dans“ gegen die politische Klasse.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2013)