Der Ex-Premier kämpft um sein politisches Überleben. Er könnte nach dem Urteil versucht sein, die Koalition in Rom zu stürzen.
Rom. Silvio Berlusconi hat seine große Wut in ein kurzes Kommuniqué verpackt: „Es ist ein unglaubliches Verdikt, von einer bisher nie gesehenen und gehörten Gewalttätigkeit. Sie wollen mich aus dem politischen Leben eliminieren.“ Er werde Widerstand leisten, weil er „absolut unschuldig“ sei. Im Kreise seiner Vertrauten fügte Berlusconi hinzu, dass es sich bei dem Mailänder Tribunal, das ihn wegen bezahlten Sex mit Minderjährigen und Amtsmissbrauch in erster Instanz zu sieben Jahren Gefängnis und zu einem lebenslangen Amtsverbot verurteilt hatte, um ein „Erschießungskommando“ gehandelt habe.
Die martialischen Töne vermögen nicht zu überdecken, dass Berlusconis Möglichkeiten, sein politisches Überleben zu sichern, inzwischen beschränkt sind. Mit der Justiz liegt der Mailänder Multimilliardär und Ex-Premier an mehreren Fronten im Krieg; am gefährlichsten ist der sogenannte Mediaset-Prozess wegen Steuerbetrugs, bei dem er im Herbst in dritter und letzter Instanz zu vier Jahren Gefängnis und zu einem fünfjährigen Amtsverbot verurteilt werden könnte.
Von Regierungschef Enrico Letta wird Berlusconi kaum Hilfe erwarten können: Der sozialdemokratische Premier hat bereits durchblicken lassen, dass er nicht für ein neues, maßgeschneidertes Gesetz für den Ex-Regierungschef zu haben sei. Die Versuchung Berlusconis ist deshalb groß, der Regierung, die ihn nicht schützen kann und will, „den Stecker zu ziehen“. Die Möglichkeit, die Koalition aufzukündigen, ließen mehrere PDL-Vertreter nach dem Ruby-Urteil anklingen. Nur: Bei Neuwahlen bekäme es der gealterte und kompromittierte Ex-Premier voraussichtlich mit dem jungen, aufstrebenden Florentiner Bürgermeister Matteo Renzi des linken PD zu tun, der in Umfragen weit vor Berlusconi liegt.
Ein Wahlsieg Berlusconis mit der anschließenden Möglichkeit, sich durch ein Gesetz selbst zu retten, scheint derzeit also unwahrscheinlich. So bleibt Berlusconi nicht viel anderes übrig, als weiterhin die angeblich politisierte Justiz zu attackieren, von einem „Staatsstreich“ zu schwadronieren und verbal, politisch und medial nach allen Seiten Druck auszuüben.
Zweierlei Maß
Unterdessen hat die Sportministerin Josefa Idem vorexerziert, wie schnell man die Konsequenzen ziehen kann. Die gebürtige Deutsche, Olympiasiegerin im Kanu-Einer im Jahr 2000, ist wegen eines – vergleichsweise – Bagatelldelikts zurückgetreten. Sie hat drei Jahre lang die Immobiliensteuern für ein Fitnessstudio nicht bezahlt, das sie zu Hause eingerichtet hat. Die Lega Nord hat einen Misstrauensantrag im Parlament eingebracht. Idem behauptet, Opfer einer Schmutzkübelkampagne geworden zu sein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2013)