Chaos in Ägypten: Armee schießt auf Mursi-Anhänger

Lage eskaliert Drei MursiAnhaenger
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Tausende Islamisten protestieren in Kairo gegen die Absetzung des Präsidenten. Es gibt mehrere Tote. Die Sinai-Halbinsel wird von Anschlägen erschüttert.

Zwei Tage nach der Absetzung des gewählten Präsidenten Mohammed Mursi hat es am Freitag in Ägypten bei Protesten gegen das Militär Tote und Verletzte gegeben.

Zu den Todesschüssen kam es in der Nähe einer Kairoer Kaserne, in der Mursi unter Arrest steht. Hunderte Demonstranten versuchten nach Berichten von Augenzeugen, zu dem Gelände vorzudringen. Dann seien Schüsse gefallen, und er habe mehrere von Kugeln getroffene Menschen zusammenbrechen gesehen, sagte ein Mann, der die Vorfälle beobachtet hat.

In Sicherheitskreisen war von drei Menschen die Rede, die von Militärs erschossen worden seien. Dem widersprach die Armee. Die Soldaten hätten lediglich Platzpatronen und Tränengasgranaten abgefeuert, sagte ein Armeesprecher. Zunächst war unklar, ob außer der Armee dort auch andere Sicherheitskräfte im Einsatz waren.

Am Freitag abend sind hunderte islamistische Anhänger des abgesetzten Präsidenten Mursi zur nationalen Fernsehzentrale am Ufer des Nils im Zentrum Kairos marschiert. Sie überquerten eine Brücke und näherten sich dem Tahrir-Platz, wo sich die Gegner Mursis versammelt haben. Die Armee kündigte an, die gegnerischen Demonstranten voneinander fern zu halten.

Angeblich verhafteter Muslimbruder auf Demo

Indes ist bei einer Kundgebung der Islamisten in Kairo am Freitag der führende Muslimbruder Mohammed Badie (Badia) aufgetreten. Dabei forderte er als Vorbedingung für eine Verständigung mit der Armee die Wiedereinsetzung des entmachteten Präsidenten Mohammed Mursi. Zugleich rief Badie die Soldaten auf, nicht auf ihre Mitbürger zu schießen. In Sicherheitskreisen hatte es geheißen, Badie sei am Donnerstag in Gewahrsam genommen worden.

Zuvor hatte bereits ein Anwalt der Muslimbruderschaft dementiert, dass Badie am Vortag festgenommen worden sei. Gegen Badie liege zwar ein Haftbefehl vor, doch sei der Top-Kader noch auf freiem Fuß, erklärte Mustafa al-Demeiri gegenüber "Al-Ahram". Badie wolle sich zwar stellen, wisse aber nicht, welche Behörde dafür zuständig sei, fügte er hinzu.

Interims-Präsident löst Parlament auf

Der am Donnerstag von der Armee eingesetzte Interims-Präsident Adli Mansour löste derweil am späten Freitagnachmittag das Oberhaus des Parlaments auf. Damit ist Ägypten ganz ohne Volksvertretung, denn das Unterhaus war von der Justiz bereits vor rund einem Jahr aufgelöst worden. Gleichzeitig ernannte Mansour auch einen neuen Geheimdienstchef.

Bei einem Schusswaffeneinsatz in Ismailiya gab es dagegen keine Toten und Verletzten. Die Islamisten seien durch  Warnschüsse vertrieben worden, hieß es in Sicherheitskreisen. In Damanhur im Nildelta kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern Mursis. Dabei erlitten Sicherheits- und Krankenhauskreisen zufolge 21 Menschen Verletzungen. Drei seien mit Schusswunden ins Krankenhaus gebracht worden.

Auch die Gegner Mursis, die sich der Nationalen Heilsfront zusammengeschlossen haben, gingen auf die Straße. Sie beschuldigten die Islamisten der Konterrevolution und riefen zur Verteidigung der Revolution auf. Mursi war am Mittwoch nach gut einem Jahr im Amt gestürzt worden. Seine Gegner wehren sich gegen Pläne zur Islamisierung des Landes und machen ihn für die Wirtschaftsmisere verantwortlich.

"Nieder mit der Militärherrschaft"

Vor der Rabaa-Adaweya-Moschee in einem Kairoer Vorort strömten um die Mittagszeit Tausende Mursi-Anhänger zu ihrem traditionellen Versammlungsort. "Nieder mit der Militärherrschaft", riefen etwa 50 Männer, die in Sprechchören auch den Heiligen Krieg für Ägypten forderten. Später ging die Zahl in die Zehntausende. Etliche Demonstranten erklärten sich bereit, notfalls den Märtyrer-Tod zu sterben.

Die Armee hatte angekündigt, die Demonstranten gewähren zu lassen. Sie werde nur bei Gewalttaten einschreiten. Außerdem werde sie eine direkte Konfrontation der verfeindeten Lager verhindern. Mehrere Hundert Meter von Barrikaden an der Rabaa-Adaweya-Moschee fuhr die Armee mit gepanzerten Fahrzeugen vor. Über den Platz flogen Kampfjets, deren Kondensstreifen in den ägyptischen Nationalfarben eingefärbt waren.

Afrikanische Union schließt Ägypten aus

Die Afrikanische Union (AU) schloss Ägypten wegen des Umsturzes aus ihren Reihen aus. Der Machtwechsel in Kairo "entspreche nicht der Verfassung Ägyptens", lautete die Begründung des AU-Sicherheitsrates am Freitag in Addis Abeba.

Ein Anwalt der Muslimbruderschaft dementierte am Freitag, dass deren Führer Mohammed Badie am Vortag festgenommen worden sei. Gegen Badie liege zwar ein Haftbefehl vor, doch sei er noch auf freiem Fuß, erklärte Mustafa al-Demeiri gegenüber der staatsnahen zeitung "Al-Ahram". Badie wolle sich zwar stellen, wisse aber nicht, welche Behörde dafür zuständig sei, fügte er hinzu. Der Anwalt bestätigte, dass zwei Führungsmitglieder der Bruderschaft, Saad al-Katatni und Monim Abdel Maksud, sowie Badies Vorgänger Mohammed Mehdi Akif verhaftet wurden.

Der deutsch-ägyptische Autor und Politologe Hamed Abdel-Samad (41), der nach einem Vortrag über "religiösen Faschismus" mit Morddrohungen belegt worden war, nannte den Umsturz am Nil einen "Sieg der Hoffnung". Bei den angekündigten Neuwahlen sei mit einer deutlichen Niederlage der Muslimbrüder zu rechnen, schrieb er in einem Gastbeitrag der "Bild"-Zeitung.

(APA/AFP)

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