Ägyptens Anti-Mursi-Allianz zerfällt

Ägypten
Ägypten (c) REUTERS (AMR ABDALLAH DALSH)
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Der vom Militär eingesetzte Übergangspräsident tritt die Flucht nach vorn an und will frühe Wahlen. Am Dienstag ernannte er einen Premier. ElBaradei wird Vizepräsident.

Eine Woche sind Militärputsch und Armeechef al-Sisis dekretierter Politikfahrplan jetzt alt – und Ägypten steckt bereits mitten im nächsten politischen Schlamassel. Die Tahrir-Allianz gegen die Muslimbrüder ist zerfallen: Die Salafisten, die extremer sind als die Muslimbrüder, den Umsturz aber unterstützen, legen ein eigenes Übergangskonzept vor. Ahmed al-Tayyeb, Großscheich der angesehenen islamischen al-Azhar-Universität und ebenfalls Partner der Koalition gegen den abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi, ist abgetaucht. Der Großscheich hat sich islamische Schweigeexerzitien auferlegt. Und die Anti-Mursi-Rebellenbewegung Tamarod tut weiter tapfer so, als würde sie die Armeeversion vom Terroristenüberfall glauben – ein Ereignis, das am Montag in einem Blutbad endete, das die Streitkräfte an Demonstranten der Muslimbruderschaft verübte.

Dem Alt-Diplomaten Mohammed ElBaradei schwant Böses. Er fordert eine unabhängige Untersuchung, die es wohl niemals geben wird. Videos und Augenzeugenberichte vom Ort des Geschehens allerdings mehren sich. Und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Strahlkraft der drei Stunden später aufgenommenen Szenen der Armee, die einen rot markierten, schießenden Demonstranten zeigen, als „Unschuldsbeweis“ für das Militär endgültig verblasst ist.

Salafisten setzen sich ab

Kein Wunder, dass dem neuen Übergangspräsidenten Adli Mansour in dieser aufgeheizten Lage ein möglicher Regierungschef nach dem anderen abhanden kam. Am Dienstag konnte er schließlich doch einen Kandidaten präsentieren: den Ökonomen und früheren Finanzminister Hazem el-Beblawi. Auch ElBaradei, zunächst als Regierungschef im Gespräch, erhielt doch noch einen Posten: Er soll sich als Vizepräsident um die Außenbeziehungen kümmern.

Mansour trat die Flucht nach vorn an und will den ganzen Prozess beschleunigen: Binnen sieben Monaten soll eine von Experten revidierte Verfassung verabschiedet und ein neues Parlament gewählt worden sein, dekretiert er. Im Frühjahr 2014 soll eine Präsidentenwahl folgen, dann wären Militärputsch und Entmachtung Mursis bald Geschichte, so das Kalkül. Doch nach dem Auszug der Salafisten gerät die restliche Tahrir-Allianz der zweiten Revolutionäre jetzt mehr und mehr in den Geruch, eine Allianz von mit Panzern an die Macht geputschten Wahlverlierern zu sein.

Ihr Bündnis mit Armee und Polizei könnte sich als Pakt mit dem Teufel erweisen. Die Generäle haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren sämtliche Verbrechen ihrer Truppen unter den Teppich gekehrt. Nur zwei junge Soldaten, die im Oktober 2011 mit gepanzerten Fahrzeugen durch eine Christendemonstration pflügten, wurden minimal bestraft, ihre Befehlshaber kamen ungeschoren davon.

Das Gleiche gilt für die schweren Übergriffe der Militärpolizei auf dem Tahrir-Platz. Die Bilder von der halb nackten, auf dem Boden liegenden jungen Frau, der Soldaten in den Magen und auf den Kopf traten, gingen um die Welt. Auch das Video eines Polizeischarfschützen, der sich brüstete, wieder einem Demonstranten die Augen ausgeschossen zu haben, ist nicht vergessen.

Schwere Hypothek

Ägyptens Sicherheitskräfte haben immer – wie jetzt wieder – nach eigenem Ausnahmerecht agiert. Die Polizei hat unter Mursis Präsidentschaft ihren Dienst glattweg verweigert, jetzt fühlt sie sich erneut als unangefochtener Herr im eigenen Haus. Für die politische Übergangsallianz, die sich mit dem Sturz der Muslimbrüder die Rettung der revolutionären Ideale auf ihre Fahnen geschrieben hat, könnte sich dies schon bald als schwere Hypothek erweisen. Die Opposition ist hoffnungslos zerstritten, ihr Spitzenpersonal genauso mittelmäßig wie das der geschassten Vorgängerführung.

Der Neo-Nasserist Hamdeen Sabahi meldet sich gelegentlich mit teils kruden Vorschlägen zu Wort. Amr Moussa, der ehemalige Chef der Arabischen Liga, strotzt zwar verbal vor Tatendrang, was er will, ist aber unklar. Und ElBaradei, Ägyptens bekanntester Polit-Twitterer, gilt selbst in den eigenen Reihen als schlechter Organisator mit Hang zu Abgehobenheit und einsamen Entscheidungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2013)

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