Ticket nach Caracas für Edward Snowden?

Geheimdienstaffäre.
Geheimdienstaffäre. (c) EPA (SERGEI ILNITSKY)
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Der Aufdecker der globalen US-Datenschnüffelei könnte in Venezuela Zuflucht finden. Dessen antiamerikanischer Präsident Maduro hält damit ein Ass in Händen, das von eigenen Grundrechtsverletzungen ablenken soll.

Washington. Edward Snowden will nach Venezuela. Der Aufdecker der umfassenden weltweiten Datenspionage durch die US-Geheimdienste hat am Dienstag ein entsprechendes Angebot des venezolanischen Präsidenten, Nicolás Maduro, angenommen. Snowden müsse nun bloß festlegen, wann er nach Caracas fliegen wolle, erklärte Maduro und fügte hinzu: „Wir haben diesem jungen Mann gesagt: ,Sie werden vom Imperialismus verfolgt, kommen Sie her.‘“ Am Abend hieß es über die Twitter-Seite der Enthüllungsplattform Wikileaks, Snowden habe das Asylangebot noch nicht offiziell angenommen. "Sollte die Zeit kommen, wird der betroffene Staat dies verlautbaren. Diese Ankündigung wird dann von uns bestätigt werden", hieß es weiter.

Der 30-jährige Snowden, ein früherer Datenspezialist der CIA, sitzt seit rund zwei Wochen auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo fest. Wie er nun nach Südamerika gelangen soll, ist offen. Es gibt keinen Direktflug von Moskau nach Caracas. Denkbar wäre also eine Zwischenlandung in Kuba. Raúl Castro, der Staats- und Parteichef des mit Venezuela eng verbundenen kommunistischen Landes, hat seine Bereitschaft zur Ermöglichung so einer Reise bereits erklärt.

Heute, Mittwoch, gibt es keine planmäßigen Flüge von Moskau in die kubanische Hauptstadt Havanna. Eine Sprecherin der russischen Fluggesellschaft Aeroflot sagte auf Anfrage der Nachrichtenagentur Agence France-Presse, sie wisse nicht, ob Snowden sich auf dem Havanna-Flug vom Dienstag befunden habe. Snowden besitzt zwar keinen gültigen Reisepass, seit die amerikanische Regierung den seinigen für ungültig erklärt hat. Für die Flucht nach Venezuela wäre das aber kein Problem, da er provisorische venezolanische Papiere erhalten dürfte.

Erleichterung im Kreml

Sobald Snowden den Transitbereich des Moskauer Flughafens verlassen hat, wird sich auch ein täglich wachsendes Problem für Russlands Präsident, Wladimir Putin, auflösen. Im September empfängt Putin nämlich den amerikanischen Präsidenten, Barack Obama. Die beiden Führer haben auch ohne die Snowden-Causa genügend heikle Themen auf der Liste ihrer Verhandlungsgegenstände, angefangen beim syrischen Bürgerkrieg bis zu den US-Sanktionen gegen Dutzende russische Justizorgane und Beamte, die Washington für den Tod des Rechtsanwaltes Sergej Magnitzki verantwortlich macht. Insofern erklärt es sich auch, wieso ein russischer Abgeordneter zu einem wortreichen und beachteten Kommentator von Snowdons Flucht wurde.

Alexej Puschkow erklärte am Dienstagnachmittag auf Twitter, Snowdon habe „wie erwartet“ das venezolanische Asylangebot angenommen. Wenige Minuten später war diese Meldung, die sofort um die Welt gegangen war, wieder verschwunden. Schon seit Tagen fütterte Puschkow, der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses in der Duma, die Medien mit Einschätzungen der zwischenstaatlichen Folgen dieser Angelegenheit. „Sie kann nicht mehr schlimmer werden“, erklärte Puschkow zum Beispiel in Hinblick auf die Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Venezuela und beantwortete damit die Frage, ob Snowdens Aufnahme nicht dem außenpolitischen Interesse Venezuelas, mit Washington ein Einvernehmen zu finden, widerstreben würde.

Venezuelas Juden im Visier

Ob sich Snowden mit Venezuela allerdings das richtige Fluchtland ausgesucht hat, ist fragwürdig. Der frühere CIA-Mitarbeiter begründet seine Veröffentlichungen des amerikanischen Überwachungsstaates ja damit, dass er nicht in einer Welt leben wolle, in der jeder Einzelne von der Regierung umfassend überwacht werde. Der venezolanische Geheimdienst allerdings führt, mit kräftiger spionagetechnischer Mithilfe des kommunistischen Kuba, seit Jahren gezielte Kampagnen gegen politische Gegner der linkspopulistischen Bewegung des im Frühjahr verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez aus.

Die venezolanischen Spione schrecken dabei auch nicht davor zurück, die Juden als potenzielle Volksfeinde ins Visier zu nehmen. Ende März berichtete die israelische Zeitung „Haaretz“ über veröffentlichte Geheimdokumente des venezolanischen Geheimdienstes Sebin, in denen der Aufbau eines Netzes von Spitzeln in der jüdischen Gemeinde befohlen wird. Beim jüdischen Neujahrfest Rosch Haschana im Jahr 2010 wurden zum Beispiel Teilnehmer an Feierlichkeiten in mehreren Synagogen unter dem Vorwand, man müsse sie polizeilich schützen, gezielt gefilmt und erfasst. Darüber hinaus sollten „patriotische loyale Bürger“ als Spitzel angeworben werden, um die jüdische Gemeinde von innen auszuspionieren und etwaige Verbindungen zur US-Regierung oder zum israelischen Geheimdienst Mossad offenzulegen.

Snowdens Aufnahme könnte dazu geeignet sein, die Weltöffentlichkeit von diesen Abgründen abzulenken – genauso wie von der stark steigenden Inflation, dem grassierenden Verbrechen und der wirtschaftlichen Stagnation unter der Führung des Chávez-Nachfolgers Maduro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2013)

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