Warum die Saudis Ägyptens Armee den Islamisten vorziehen

Supporter of Egypt's deposed President Mursi holds a poster of him while waiting with others during their sit-in outside the Rabaa Adawiya mosque, east of Cairo
Supporter of Egypt's deposed President Mursi holds a poster of him while waiting with others during their sit-in outside the Rabaa Adawiya mosque, east of Cairo(c) REUTERS (ASMAA WAGUIH)
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Analyse. Die autokratischen Golfstaaten fürchten die Demokratie. Der ideologische Disput zwischen Salafisten und Muslimbrüder ist zweitrangig.

Kairo. Die Muslimbrüder und Präsident Mohammad Mursi waren in Ägypten kaum von der Macht entfernt, da zückten die autokratischen Herrscher am Golf ihre Scheckbücher und versprachen zwölf Milliarden Dollar Soforthilfe für das Land am Nil. Saudiarabien und die Vereinigten Arabischen Emirate waren nach dem Putsch die Ersten, die dem vom Militär eingesetzten ägyptischen Übergangspräsidenten, Adli Mansour, und Militärchef Abdel Fattah al-Sisi gratulierten. Der saudische König Abdullah applaudierte der Armee, „die Ägypten aus einem dunklen Tunnel zurückgeholt hat“. Anwar Gargash, Außenminister der Emirate, kommentierte: „Dass sich die Ägypter einer islamistischen Regierung verweigert haben, stellt einen Wendepunkt in der Region dar.“

Aber es blieb nicht beim verbalen Segen. Saudiarabien und die Emirate versprachen acht Milliarden Dollar für die ägyptische Staatskasse. Und das sei nur der Anfang, hieß es aus Abu Dhabi. Kuwait legte ein paar Tage später noch einmal vier Milliarden drauf. Das Geld kann Ägypten gut gebrauchen. Zuletzt konnte es nicht einmal mehr die Rechnungen für Treibstofflieferungen zahlen.

„Niemals Parteien zulassen“

Zunächst einmal verwundert es, dass Saudiarabien – die Mutter des islamischen Fundamentalismus – feiert, wenn in Ägypten die Islamisten von der Macht weggeputscht werden. Oft wird das damit erklärt, dass Saudiarabien immer schon die noch radikaleren Salafisten, also die islamistische Konkurrenz der Muslimbrüder, unterstützt hat. Deren Fokus lag stets mehr auf einer gesellschaftlichen Islamisierung und der Einführung der Scharia im täglichen Leben, während die Muslimbrüder die Veränderung durch die Politik und den Marsch durch die Institutionen propagieren. Welche von beiden Varianten der saudische König Abdullah bevorzugt, hat er in seiner diesjährigen Ramadan-Botschaft deutlich gemacht. „Das Königreich wird niemals Parteien zulassen, da diese nur zum Konflikt und Misserfolg führen“, erklärte er dort.

Aber der ideologische Disput zwischen Salafisten und Muslimbrüdern spielt nicht die Hauptrolle. Die saudischen Autokraten hassen die Muslimbrüder vor allem deshalb so sehr, weil diese ihre Legitimität durch die Wahlurnen gesucht haben. Auch als die palästinensische Hamas beschlossen hatte, im Westjordanland und Gaza an Wahlen teilzunehmen, ließ Saudiarabien sie prompt fallen. Auch deshalb wendete sich die Hamas später dem Iran zu.

Katar und Türkei sind die Verlierer

„Die Finanzhilfe der Golfstaaten für Ägypten ist aus der Angst geboren, dass sich das größte arabische Land durch demokratische Wahlen weiterentwickelt“, erklärt Christopher Davidson, Golf-Experte an der britischen Durham-Universität, im Telefoninterview mit der „Presse“. „Die Saudis wollen den ägyptischen Übergangsprozess einfach kaufen“, glaubt eine europäische Journalistin, die jahrelang am Golf gearbeitet hat und nicht namentlich genannt werden will.

Mit dem neuen saudischen Engagement in Ägypten verschieben sich die regionalen Gewichte. Katar, das Mursis Muslimbrüdern mit acht Milliarden Dollar geholfen hat, gilt jetzt als der große Verlierer. Doha hat auf das falsche Pferd gesetzt, macht aber gute Miene zum bösen Spiel: Auch Katar hat die Rolle der ägyptischen Armee zum Schutz der nationalen Sicherheit gelobt und erklärt, es respektiere den Willen des ägyptischen Volkes. Ohne Hinweis auf die Bruderschaft heißt es aus Doha vage, man werde Ägypten weiterhin unterstützen. Katar möchte im Spiel bleiben.

Der zweite Verlierer ist die Türkei. Premier Erdoğan hatte ebenfalls die Muslimbrüder offen unterstützt, politisch und finanziell. Jetzt hat er nicht nur ein Problem im Gezi-Park, sondern muss damit rechnen, dass sein Einfluss auf das bevölkerungsreichste arabische Land schwindet.

Riad setzt aufs Mubarak-System

Ob die Rechnung Saudiarabiens, das Rad in Ägypten zurückzudrehen, aufgeht, ist offen. Mindestens aber möchte es die demokratische Bedrohung, die von Ägypten für die autokratischen Systeme am Golf ausgeht, neutralisieren. Jahrzehntelang hatte Riad das Regime Mubarak massiv unterstützt. Jetzt hofft man, dass die alten Seilschaften Mubaraks dort wieder Fuß fassen. „Sie sollten sich nicht zu früh freuen“, warnt Davidson. Während die Militärs in Ägypten die Fäden in der Hand halten, wird sich die politische Landschaft nach dem Sturz Mursis neu formieren. Die ausgebooteten Muslimbrüder werden sich wieder positionieren. Schon jetzt schlagen sie mehr nationalistische als islamistische Töne an. Ob sie in Zukunft innerhalb oder außerhalb des politischen Systems bleiben, ist noch offen.

Anti-Mursi-Allianz wird brechen

Das Bündnis gegen sie wird schnell auseinanderfallen, wenn die Revolutionäre vom Tahrir-Platz merken, dass am Aufstand gegen die Muslimbrüder auch zahlreiche Kräfte der Restauration mitgewirkt haben. Mit Saudiarabien haben Letztere einen finanziell potenten Bündnispartner. Denn eines ist sicher: ein arabischer Wandel, der in eine demokratische Zukunft führt, der ist den Königen und Emiren am Golf ein wahrer Graus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2013)

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