SPD-Kandidat auf verlorenem Posten

SPDKandidat verlorenem Posten
SPDKandidat verlorenem Posten(c) EPA (Henning Kaiser)
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Zehn Wochen vor der deutschen Bundestagswahl scheint die Schlacht für Peer Steinbrück und Rot-Grün schon verloren. Welche Chancen hat der glücklose Merkel-Herausforderer, das rote Ruder doch noch herumzureißen?

Peer Steinbrück bringt kein Wort heraus. Seine Hände zittern, in seinen Augen sammeln sich Tränen. Betroffene Stille im Saal. Endlich stehen die Genossen auf und applaudieren stumm ihrem Kanzlerkandidaten. Es war ein ergreifender Moment, beim Parteikonvent der SPD im Juni. Und einer der wenigen Episoden in diesem anlaufenden Wahlkampf, in der sich die Spitzen der deutschen Sozialdemokratie zum harmonischen Gesamtbild fügten – vereint freilich nicht in der Hoffnung, sondern in wehmütiger Resignation.

Dabei sollte die Veranstaltung nur dazu dienen, den forschen Steinbrück einmal ganz menschlich zu präsentieren, an der Seite seiner Ehefrau Gertrud. Die Lehrerin aber erzählte so frank und frei vom Verlust an familiärer Lebensqualität durch die Kandidatur, dass für alle Anwesenden klar wurde: Steinbrück war glücklicher als einfacher Abgeordneter, und er zweifelte lang selbst daran, ob er denn der Richtige für diese Ochsentour sei. So lag die Frage in der Luft, die dann die Moderatorin stellte und ihm die Sprache verschlug: „Herr Steinbrück, warum tun Sie sich das eigentlich an?“

Zehn Wochen vor der deutschen Bundestagswahl scheint die Schlacht für die SPD und ihre rot-grüne Wunschkoalition schon verloren. Die Partei steckt in den Umfragen bei 22 bis 26 Prozent fest. Der Frontmann liegt im direkten Duell 31 Punkte hinter „Mutti“ Merkel. Parteichef Sigmar Gabriel, enttäuscht vom unprofessionellen und pannenreichen Wahlkampf, schießt immer wieder quer, stiehlt Steinbrück die Show und schürt Protest in der Fraktion. Weil der Kandidat kategorisch ausschließt, sich als Vizekanzler hinter Merkel zu stellen, fällt womöglich Gabriel diese undankbare Rolle zu. Eine Große Koalition wäre die Wunschregierung der Deutschen, knapp gefolgt vom aktuellen schwarz-gelben Bündnis, das vor einem halben Jahr noch denkbar unbeliebt war.

Nichtwähler aktivieren. Gerhard Schröder legte 1998 eine perfekt inszenierte „Kampa“ hin. So etwas erhofften sich viele auch vom polternden Politprofi Steinbrück, dem Parteidoyen Helmut Schmidt die höchste Weihe verlieh: „Er kann Kanzler“. Der Zwischenstand aber lautet: Kampa kann er nicht. Nun kommen die Durchhalteparolen. Generalsekretärin Andrea Nahles setzt auf Straßenschlacht und Häuserkampf: Die Sozialdemokraten könnten es schaffen, wenn sie sich unters Volk mischten und enttäuschte Anhänger aktivierten, die wegen der Hartz-IV-Reformen und der „Rente mit 67“ zu den Nichtwählern gewechselt sind. Steinbrück selbst beschwört die heroische Aufholjagd Schröders, der 2005 in wenigen Wochen aus ähnlich aussichtsloser Lage um ein Haar noch die Union überholt hätte.

Damals freilich startete die SPD aus einem temporären Tief nach der verlorenen Regionalwahl in Nordrhein-Westfalen (mit einem Ministerpräsidenten namens Steinbrück), Kanzler Schröder hatte immer noch Sogwirkung und viele Sympathien auf seiner Seite. Gegen seine Herausforderin Merkel gab es Vorbehalte auch aus eigenen Reihen. Heute aber, nach acht Jahren Kanzlerschaft, genießt sie eine immense Popularität, gegen die kaum anzukommen ist. Und um Sympathien für Steinbrück steht es schlecht.

Schwarze Wunderwaffe. Dabei spielte er im letzten Bundestagsduell vor der Sommerpause die Kanzlerin gewitzt an die Wand: Ihm scheine, er habe Merkels Rede „schon drei-, viermal gehört“. Deshalb wohl sei „die Hälfte der Regierungsbank überwältigt. Und zwar vom Schlafbedürfnis“. Gefehlt habe ihm nur der Satz „Eine gute Grundlage ist die beste Voraussetzung für eine gute Basis in Europa“. Schließlich höhnte er: „Sie können nicht mit Geld umgehen. Wenn Sie in der Wüste regieren, wird der Sand knapp.“ So gut gelaunt und angriffslustig hat man Steinbrück lange nicht mehr erlebt.

Gleich zu Beginn seiner Kandidatur hatte er gelobt, er werde Merkel nicht persönlich attackieren, sie nur inhaltlich stellen. Aber auch mit den Inhalten hat die SPD Probleme. Gegen die schwarze Wunderwaffe der „asymmetrischen Demobilisierung“ sind die Genossen erneut machtlos: Merkel räumt alle Konfliktfelder ab und rückt so weit nach links, bis die Grenzen verschwimmen. Der SPD-Wahlkampfschlager Mindestlohn wird bei der Union zur „Lohnuntergrenze“, die Unterschiede liegen nur noch im Detail. Ganz offen aus dem SPD-Programm geklaut ist die Mietpreisbremse: Man lasse sich eben von den guten Ideen der Konkurrenz gern inspirieren, heißt es aus der CDU. So lässt sich der Gegner entwaffnen. Den einzigen klaren Unterschied der Programme kann der Wähler nur beim lieben Geld erkennen: Die SPD will die Steuern erhöhen, die Union lässt das lieber bleiben.

Mit fremder Zunge. Um Deutschland „sozial gerechter“ zu machen, die Europartner großzügiger zu unterstützen und gleichzeitig Schulden abzubauen, will die linke Opposition Besserverdiener und Unternehmen kräftig zur Ader lassen. Bei bürgerlichen Wechselwählern, die Schröder mit der Agenda 2010 für die SPD gewinnen konnte, kommt das nicht gut an. Gerade diese Klientel hätte Steinbrück, der stets ein überzeugter Verfechter des wirtschaftsfreundlichen Reformkurses war, mobilisieren sollen.

Stattdessen hat die Partei dem angeschlagenen Kandidaten einen Linksruck aufgezwungen, der ihn wie mit fremder Zunge sprechen lässt. So passt in der „Kampa 2013“ nichts mehr zusammen. Der „Spiegel“ hat sein vernichtendes Fazit schon gezogen: Die SPD sei dabei, „Geschichte zu schreiben: mit der schlechtesten Wahlkampagne der Nachkriegsgeschichte“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2013)

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