NSA-Affäre: Was wusste deutscher Geheimdienst?

NSA Affaere deutscher Geheimdienst
NSA Affaere deutscher Geheimdienst(c) EPA (SOEREN STACHE)
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Laut Medienberichten soll der Bundesnachrichtendienst über das Datensammeln der US-Dienste informiert gewesen sein. Die Spitzelaffäre wird zum Wahlkampfthema. Die Opposition attackiert Merkel.

Berlin. Die Empörung brauchte lange Zeit zum Sickern, nun schallt sie umso lauter: Die NSA-Abhöraffäre wird zum dominierenden Thema im deutschen Wahlkampf. Für frischen Zündstoff ist medial gesorgt: Der Auslandsgeheimdienst BND, verkündete die „Bild“-Zeitung am Montag, wisse längst genau Bescheid darüber, in welchem Ausmaß die US-Geheimdienste die Kommunikationsdaten deutscher Bürger anzapfen, absaugen, speichern und auswerten.

Denn wenn in den letzten Jahren deutsche Bürger im Ausland entführt wurden, etwa in Afghanistan oder im Jemen, bat die Behörde die amerikanischen Kollegen um die Inhalte der letzten Telefonate und E-Mails der Entführungsopfer. Das ist eine große Hilfe, weil sich so feststellen lässt, wo sich die Opfer aufhielten und welche Pläne sie hatten. Aber es setzt voraus, dass die NSA diese Daten deutscher Bürger schon zuvor ohne Anlass im Schleppnetz hatte – und der deutsche BND darüber im Bilde war.

Besondere Arbeitsteilung

Damit steigt der Druck auf Angela Merkel, denn ihr Kanzleramt kontrolliert die Geheimdienste. Herausforderer Peer Steinbrück von der SPD warf ihr am Sonntag mit ungewohnter Schärfe vor, sie habe ihren Amtseid gebrochen. Statt Schaden vom deutschen Volke abzuwenden, sei für die Bürger ein „riesiger Schaden“ entstanden.

Gerne hätte die Regierung die Aufregung auf kleiner Flamme gehalten. Merkel wollte vor allem ihre Umfragedaten schützen. Auch die Rollenverteilung stand fest: Die liberale Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger durfte die USA wegen grober Verletzung der Bürgerrechte nach Herzenslust anprangern und damit für die FDP, die um den Wiedereinzug ins Parlament bangen muss, ein paar Sympathiepunkte sichern.

Gescheiterte Strategie

Die Union aber signalisierte den Wählern: Wir hatten keine Ahnung von all dem, sind leicht irritiert wie jedermann und müssen das jetzt mit unseren amerikanischen Freunden klären – was dauern kann, jedenfalls bis nach der Wahl am 22. September. Diese Strategie ist nun gescheitert. Die tägliche Talkshow zum Thema sensibilisierte die breite Öffentlichkeit und zwang auch die CDU/CSU, ein wenig hörbarer zu protestieren.

Am Donnerstag setzte sich Innenminister Hans-Peter Friedrich, der hinter den Protesten anfangs „Antiamerikanismus“ gewittert hatte, ins Flugzeug nach Washington, um persönlich Aufklärung einzufordern.

Doch von seinen Gesprächen mit US-Justizminister Eric Holder und Vizepräsident Joe Biden kam der CSU-Politiker mit ziemlich leeren Händen zurück. Er zeigte sich zufrieden über die Zusicherung, es gebe keine Wirtschaftsspionage, und lobte den „edlen Zweck“ der Terrorbekämpfung. Das nutzte die rot-grüne Opposition zur Frontalattacke: Der Minister habe sich „mit verbalen Beruhigungspillen abspeisen lassen“, seine „Placebo-Reise“ habe sich als „Desaster“ und „völlige Luftnummer“ erwiesen, lautete die Kritik.

Dazu kommen Pannen in der Kommunikation. In einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ erklärte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU): „Es hat Überwachung gegeben bis in Regierungskreise hinein.“

Dazu wollte natürlich die ARD am Abend im „Sommerinterview“ mit der Kanzlerin Näheres wissen. Ob sie denn selbst abgehört wurde? Doch Merkel war offenbar nicht gebrieft: Ihr sei dazu „bislang nichts bekannt“, gestand sie kleinlaut ein. Aber ihr Lächeln wirkte, als halte sie dieses Szenario für den realitätsfernen Plot eines Spionagethrillers.

Deutscher Missionierungsgeist

Da ist die deutsche Öffentlichkeit weiter: Sie traut den Amerikanern längst alles zu. Dass darauf nicht nur die US-Bürger und Briten, sondern etwa auch Franzosen und Italiener mit Schulterzucken reagieren, weckt einen aus der Eurokrise bekannten Missionierungsgeist. Nach Sparen und Strukturreformen soll nun alle Welt von den Deutschen lernen, wie wichtig der Schutz der Privatsphäre ist.

Für Ministerin Aigner ist klar: Die „Amerikaner halten uns für Freaks, weil uns der Schutz persönlicher Daten so wichtig ist. Was sie nicht verstehen: Wir Deutschen haben ein anderes Grundgefühl“, nach „zwei Diktaturen in Folge“. Die Sensibilität „ist bei uns höher. Das müssen wir den Amerikanern vermitteln.“ Was freilich wirklich noch dauern dürfte.

Auf einen Blick

Die US-Abhöraffäre bringt die deutsche Kanzlerin Angela Merkel unter Druck. Nach Informationen der „Bild“ wusste der deutsche Geheimdienst BND über den Umfang der Ausspähung Bescheid und nutzte die NSA-Daten in Entführungsfällen. Der BND wird vom Kanzleramt kontrolliert. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück wirft Merkel vor, ihren Amtseid gebrochen zu haben. Innenminister Hans-Peter Friedrich wird von der Opposition heftig kritisiert, weil er aus den USA ohne konkrete Zusagen zurückgekehrt ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2013)

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