Ägypten: Armee sagt Jihadisten den Kampf an

Armee sagt Jihadisten Kampf
Armee sagt Jihadisten Kampf(c) REUTERS (IBRAHEEM ABU MUSTAFA)
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Die Extremisten auf dem Sinai verstärken ihre Terrorkampagne. 15 Uniformierte wurden in den vergangenen beiden Wochen getötet. Jetzt will Kairo zurückschlagen.

Kairo. Die Attentäter kamen in der Dunkelheit auf dem Motorrad. Ein Feuerstoß – der blutjunge Rekrut vor der Polizeiwache in el-Arish sank in sich zusammen. Eine Kugel traf ihn ins Genick, er war sofort tot. Wenig später starben zwei weitere Polizisten, der eine nach Dienstende vor seiner Haustür, der andere in seinem Büro. Seit dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi eskaliert die Gewalt auf der Halbinsel Sinai. Kein Tag vergeht ohne Attentate auf Polizisten und Soldaten, die von Jihadisten mit Sturmgewehren und schultergestützten Raketen unter Feuer genommen werden.

Mindestens 15 Uniformierte wurden in den vergangenen beiden Wochen getötet, mehrere Dutzend verletzt. Der ägyptische Oberbefehlshaber auf dem Sinai, General Ahmed Wasfy, entging nur knapp dem Tod, weil seine Entourage sofort zurückschoss und die Angreifer in die Flucht schlagen konnte. Drei Arbeiter einer Zementfabrik starben, als Radikale unter „Allah ist groß“-Rufen ihren Werksbus beschossen, den sie irrtümlich für einen Polizeibus gehalten hatten. Ein Video im Internet zeigt hunderte Bewaffnete, die einen sogenannten Kriegsrat abhielten und anschließend mit drohenden Gesten „Die Zeit des Friedens ist vorbei“ skandierten.

Kämpfer aus dem Gazastreifen

Nun ist für Ägyptens Armeeführung das Maß voll. Sie will gegen das mörderische Treiben auf dem Sinai mit einer Großoffensive zu Felde ziehen. Zwei zusätzliche Bataillone hat Kairo diese Woche unter Zustimmung Israels „zur Terrorbekämpfung“ auf die karge und schwer zugängliche Halbinsel verlegt. Auf gut tausend Bewaffnete schätzt der Militärgeheimdienst die Streitmacht der Islamisten, die meisten sind Ägypter, aber auch Kämpfer aus dem Gazastreifen und Rückkehrer aus Syrien. „Ihre Anführer kennen wir alle mit Namen. Sie leben mit ihren Familien in ihren Dörfern“, brüstet sich ein ägyptischer Armeekommandant. Man werde mit Augenmaß vorgehen, um die Zivilbevölkerung nicht unnötig aufzustacheln. Denn für die 380.000 Beduinen auf dem Sinai war der ägyptische Staat schon immer Besatzungsmacht. Man müsse verhindern, „dass die Vorfälle außer Kontrolle geraten und am Ende unsere nationale Sicherheit gefährden“, rechtfertigte der Offizier den Aufmarsch.

Denn nach der Entmachtung des islamistischen Staatschefs in Kairo fürchten die Generäle, die Terrorkampagne auf dem abgelegenen Wüstenareal zwischen Suezkanal und israelischer Grenze könnte bald auch überspringen auf das ägyptische Kernland, wo es seit dem Sturz Mursis regelmäßig zu Krawallen kommt.

Christen schließen ihre Kirchen

Zugleich richtet sich der Zorn der Jihadisten auch gegen die Christen, die sie als Handlanger des Umsturzes ansehen. Für die 5000Kopten auf dem Sinai ist das seit Anfang Juli zur Schicksalsfrage geworden. Nach der Revolution gegen Hosni Mubarak 2011 wurden ihre beiden Kirchen in Rafah in Brand gesteckt. „Land des Islam, hier gibt es keinen Platz für Christen“, ritzten die Attentäter in die verkohlten Wände der Gotteshäuser. Seitdem werden die Gläubigen durch Drohungen, Übergriffe und Entführungen zermürbt. Das Fass zum Überlaufen aber brachten jetzt die Morde an einem Priester und einem Geschäftsmann, dem der Kopf abgeschnitten wurde. Seitdem sind fast alle Familien in Richtung Niltal geflohen – entweder nach Kairo oder Oberägypten, wo ihre christlichen Verwandten leben. Vergangenen Sonntag verkündete der Pfarrer den letzten Verbliebenen, alle Kirchen blieben künftig verriegelt, bis auf wenige Minuten am Morgen für ein kurzes Gebet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2013)

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