Erstmals sprechen sich sozialistische Abgeordnete für Neuwahlen aus. In der Nacht zum Mittwoch waren die Proteste in Sofia erstmals eskaliert.
Nach den zum Teil blutigen Zusammenstößen zwischen Regierungsgegnern und Polizisten in der Nacht auf Mittwoch haben sich Vertreter der regierenden sozialistischen Partei in Bulgarien erstmals für vorgezogene Parlamentswahlen ausgesprochen. Der Europaabgeordnete der Sozialisten, Iwajlo Kalfin, erklärte, dass nur Neuwahlen die angespannte Lage beruhigen könnten. Unterdessen versammelten sich auch Mittwochfrüh erneut Demonstranten vor dem Parlament in Sofia.
"Ich habe eine ähnliche Situation 1997 erlebt, als Protestierende das Parlament in Brand gesetzt hatten. Auch damals war für mich klar, dass die damalige Regierung nicht weiter im Amt bleiben kann", sagte Kalfin laut dem Online-Medium "mediapool.bg". Der frühere Außenminister Bulgariens (2005-2009) habe erwartet, dass die Spannung nach wochenlangen Protesten eskaliert. "Es war eine Frage der Zeit", so Kalfin.
Stanischew gegen Neuwahlen
Auch der sozialistische Abgeordnete im Parlament in Sofia, Georgi Kadiew, räumte ein, nur vorgezogene Parlamentswahlen können die politische Krise in Bulgarien lösen. Gegenüber dem Staatsradio betonte er jedoch, "Wahlen jetzt und sofort" seien keine Lösung. Kadiew zufolge sollten die nächsten Parlamentswahlen im Mai kommenden Jahres gleichzeitig mit den Europawahlen stattfinde.
Der Chef der Sozialisten, Sergej Stanischew, lehnte hingegen Neuwahlen ab. Sie würden an der Lage nichts ändern, sagte er, in der angespannten Situation sei es wichtig, dass die staatlichen Institutionen wie gewohnt weiterarbeiteten. Er machte Provokateure für die Entgleisung der nächtlichen Demonstrationen verantwortlich.
In Sofia versammelten sich am Mittwoch Vormittag unterdessen erneut Demonstranten vor dem Parlament. Auch eine Verkehrsblockade am zentralen "Zar Befreier"-Boulevard wurde kurzfristig durchgeführt. Das Parlamentsgebäude war nach den nächtlichen Zusammenstößen mit Absperrgittern verbarrikadiert; Polizisten patrouillierten unter der heißen Vormittagssonne auf dem Vorplatz.
Dienstagnacht hatte eine wütende Menge die im Gebäude befindlichen Abgeordneten am Verlassen des Parlaments gehindert. Erst gegen vier Uhr früh konnte die Polizei den Belagerungsring durchbrechen. Beim Versuch, die Abgeordneten mit Bussen abzutransportieren, kam es zu Zusammenstößen. Es wurden einige Menschen verletzt; Demonstranten beklagten das brutale Vorgehen der Polizei.
Die nächtlichen Ereignisse waren die erste Eskalation nach wochenlangen friedlichen Protesten gegen die Regierung aus Sozialisten und der Partei der türkischen Minderheit DPS, die bisher eher den Charakter eines "Happenings" hatten.
Abgeordnete untergetaucht
Auch wenn sich die Demonstranten nun erneut versammeln: Von den Abgeordneten fehlte am Mittwoch vorerst jede Spur. Parlamentspräsident Mihael Mikow hatte seine Kollegen angewiesen, nicht zur Arbeit zu erscheinen, solange es keine normalen Arbeitsbedingungen gebe und die Sicherheit nicht garantiert werden könne. Eigentlich sollte heute das Parlament von neun bis 14 Uhr (Ortszeit) zu einer Sitzung zusammenkommen.
Innenminister Zwetelin Jowtschew hat unterdessen die Verantwortung für die Abholaktion mit den Autobussen übernommen und die Vorgehensweise verteidigt. Er sagte, die Polizei habe sich "perfekt" verhalten und sich nicht provozieren lassen.
(som)