Langsamer Abschied vom Kult um "Vater der Turkmenen"

Seit 2007 fest im Sattel: Präsident und Pferdeliebhaber Berdymuhammedow.
Seit 2007 fest im Sattel: Präsident und Pferdeliebhaber Berdymuhammedow.(c) APA (Herbert Pfarrhofer)
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Das Buch "Ruchnama", vom früheren Machthaber verfasst, fliegt aus dem Lehrplan. Die Verehrung gilt nun dem neuen Staatschef.

Im „Goldenen Zeitalter“ des Staatsgründers Saparmurat Nyazow gab es keinen Tag, an dem der „Ruchnama“ nicht gehuldigt wurde. In jedem Haushalt stand ein Exemplar des turkmenischen „Buches der Bücher“. In den Schulen wurde die Ruchnama unterrichtet, im Fernsehen zitiert, in Zeitungen hochgelobt, und auch bei Hochzeiten und Todesfällen fand sich stets ein passender Ausschnitt, denn um salbungsvolle Worte war das dicke Buch nie verlegen. Nyazow hatte Turkmenistan aus der Sowjetunion in die Unabhängigkeit geführt, und als ideologischer Kitt in dieser Gesellschaft disparater Nomaden dienten seine Lehre der Ruchnama und ein Personenkult, der sich im Gold der Statuen Nyazows widerspiegelte. Die Ruchnama war die Verkündigung dieser totalitären Ideologie, Legendensammlung, Ahnenhistorie, Nationalmythos und turkmenischer Verhaltenskodex in einem. Nun wird sie entsorgt.

Seit Nyazows Tod Ende 2006 und der Machtergreifung seines Nachfolgers Gurbanguly Berdymuhammedow, des früheren Zahnarztes des Herrschers, blieb das „Heilige Buch“ immer öfter im Regal liegen. Ab September verschwindet die Ruchnama ganz aus den Lehrplänen: Turkmenische Schüler zwischen sechs und 18 Jahren werden „die neue Weltsicht“, wie es an einer Stelle heißt, nicht mehr studieren. „Der Personenkult um Nyazow wird abgelöst“, sagt Farid Tuhbatullin von der „Turkmenischen Initiative für Menschenrechte“ in Wien. „Nicht in übereilten Schritten, sondern still und leise.“ Dass die Ruchnama entsorgt wird, verwundert ihn nicht. In den vergangenen Jahren wurde der Ruchnama-Unterricht auf eine Stunde pro Woche eingeschränkt. Die Ruchnama-Aufnahmeprüfung an den Universitäten werde nächstes Jahr fallen, glaubt Tuhbatullin, der die schlechte Qualität des Bildungssystems trotzdem bemängelt. „Seit Berdymuhammedows Amtsantritt wurden die größten Absurditäten im Bildungssystem zurückgenommen“, sagt Hannes Meißner vom Kompetenzteam Schwarzmeerregion der Stadt Wien. Von einer „Normalisierung“ im Staate will er aber nicht sprechen.

Vom „Vater“ zum „Beschützer“

Im Jahr sieben nach Nyazows Tod tritt Berdymuhammedow zunehmend aus dem Schatten des Staatsgründers. Es gebe „neue Akzentuierungen des Personenkults“, so Meißner. Statt des „Goldenen Zeitalters“ spricht man nun von der „Ära des höchsten Glücks“. Statt „Vater der Turkmenen“ lässt sich der neue Staatschef „Beschützer“ nennen. Statt eines spirituellen Opus magnum schreibt er über die Kraft turkmenischer Heilkräuter und die Eleganz der heimischen Pferderasse Akhal Teke.

Die demokratische Lockerung, die manche nach seinem Amtsantritt erhofft haben, ist nicht eingetreten. Zwar gibt es mittlerweile eine zweite Partei im Parlament – die Partei der Industriellen und Unternehmer –, die Zahl ihrer Abgeordneten dürfte nach den Parlamentswahlen im November 2013 weiter anwachsen. Doch das Zweiparteiensystem ist von oben kontrolliert. Von den Ankündigungen, die Exilopposition dürfe per Straffreiheit ins Land zurückkehren, ist nichts mehr zu hören. Kritiker sind in Turkmenistan nicht erwünscht.

In Wirtschaftsagenden legt Berdymuhammedow einen größeren Pragmatismus als sein Vorgänger an den Tag: weniger Isolation, mehr Absatzmärkte. Vollmundig kündigte er zu Jahresbeginn ein Privatisierungsprogramm bis 2016 an, das die „allmähliche Transformation“ des Landes zur Marktwirtschaft ermöglichen soll. Der Schönheitsfehler: Der Öl- und Gassektor, aus dem das Land nach Schätzungen bis zu 90 Prozent seines Budgets bezieht, soll nicht angerührt werden. Denn auf ihm fußt die Macht im Staat. „Der Präsident“, sagt Meißner, „ist der Umverteiler.“ Wichtigste Abnehmer sind Russland, der Iran und China, wobei vor allem die Exporte nach China gesteigert werden sollen. Turkmenistan konnte den Verkaufspreis von Erdgas an seine Handelspartner in den vergangenen Jahren zum Teil verdreifachen. Wozu überhaupt marktwirtschaftliche Reformen, wenn die Energiereserven jährlich an die 24 Milliarden Dollar ins Land spülen? Berdymuhammedows „Ära des höchsten Glücks“ dürfte noch länger andauern.

Auf einen Blick

Turkmenistans PräsidentGurbanguly Berdymuhammedow ist seit Anfang 2007 offiziell im Amt. Er hat den exaltierten Personenkult seines Vorgängers zurückgeschraubt und teilweise durch seinen eigenen ersetzt.
Das Land verfügt über die viertgrößten Gasvorkommen weltweit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2013)

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