Ägyptens Frühling liegt in Trümmern

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aegyptens Fruehling liegt Truemmern(c) EPA (MOSAAB ELSHAMY)
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Nach dem brutalen Vorgehen der Polizei mit mehr als 500 Toten griffen Anhänger der Muslimbrüder Kirchen und Regierungsgebäude an. Dem Sicherheitsapparat käme eine Radikalisierung der Islamisten zupass.

Es waren Bilder des Grauens, die am Donnerstag von Kairo aus um die Welt gingen: völlig verkohlte, entstellte Körper, die nur mehr entfernt an menschliche Wesen erinnerten, überfüllte Leichenhallen, in denen Angehörige die traurige Gewissheit fanden, dass ihre Liebsten nicht mehr am Leben waren.

Am Tag nach der gewaltsamen Räumung der beiden Protestlager der Muslimbrüder in Kairo sprach das Gesundheitsministerium von 525 Toten, darunter 43 Polizisten. Die Hälfte der Opfer ist demnach bei Protesten umgekommen, die nach der Räumung in allen Teilen des Landes ausgebrochen sind. Doch das sind nur die offiziellen Zahlen. Die Muslimbrüder sprechen von bis zu 3000 Toten. Die wahre Zahl liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte. Noch waren am Donnerstag weitaus nicht alle der in den Lagern verbrannten Leichen identifiziert.

Und die Islamisten schlugen zurück: Landesweit wurden am Mittwoch nicht nur Polizeiwachen und Provinzverwaltungen von Demonstranten angegriffen, sondern auch zahlreiche Kirchen (siehe Seite 2).Am Donnerstag stürmten Anhänger der Muslimbrüder ein Regierungsgebäude in Kairo und setzten es teilweise in Brand. Trotz des Verbots weiterer Demonstrationen gingen Anhänger der Muslimbrüder erneut in großer Zahl auf die Straßen, nicht nur in Kairo, sondern auch in Alexandria und anderen Städten.

Es gilt wieder Ausnahmezustand

Die Übergangsregierung hat am Mittwoch einen zunächst einmonatigen Ausnahmezustand und für zwölf Provinzen eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.

Das Militär, die Übergangsregierung und ein guter Teil der sogenannten liberalen Bewegung übten sich in Rechtfertigungsversuchen für das brutale Vorgehen der Polizei. Ministerpräsident Hazem al-Beblawi lobte die Polizeiaktion, die Ägypten dem Ziel, „unseren demokratischen, zivilen Staat zu errichten“, nähergebracht habe.

Worte, die in den Ohren der Pro-Mursi-Demonstranten, die seit Anfang Juli gegen die Absetzung des gewählten Staatschefs protestierten, wie blanker Hohn klingen müssen. Genauso wie die Worte des Innenministers Mohammed Ibrahim, der von der angeblichen Zurückhaltung seiner Polizei sprach, die angegriffen worden sei. Ein Art Vergeltungsschlag also. Außerdem kündigte er an, keinen Sitzstreik und kein Protestlager der Pro-Mursi-Anhänger mehr zuzulassen: „Ich verspreche, sobald sich Ägypten stabilisiert hat, werden wir wieder eine Sicherheit wie vor dem Sturz Mubaraks herstellen“, sagte er. Auch ein solcher Satz hält Liberale wie Khaled Daoud, den Sprecher der größten liberalen Oppositionsbewegung gegen Mursi, nicht ab, dem Polizeieinsatz zu applaudieren.

Das zivile Feigenblatt bröckelt

Doch die liberale Front an der Seite des Militärs bekommt erste Risse. Vizepräsident Mohammed ElBaradei trat zurück, weil er den Räumungsbeschluss nicht mittragen möchte. Es kursieren zahlreiche Gerüchte, dass andere Kabinettsmitglieder folgen könnten. Das zivile Feigenblatt der Militärherrschaft bröckelt zumindest.

ElBaradei erklärte, dass die brutale Räumung zur Radikalisierung auf beiden Seiten führen werde. Dem Bündnis von Militärs und alten Mubarak-Seilschaften, vor allem im Sicherheitsapparat, dürfte es aber genau darum gehen, die Muslimbruderschaft nicht nur weiter politisch zu isolieren, sondern auch zu radikalisieren. Dies wäre für sie insofern eine durchaus wünschenswerte Entwicklung, als es ihre Argumentation, Putsch und Räumung der Protestlager seien zur Wiederherstellung der Demokratie gegen die Muslimbrüder notwendig gewesen, stützt.

Lehren aus den 1990er-Jahren

Mit radikalisierten Islamisten, die man international auch leichter dämonisieren kann, meint der Sicherheitsapparat besser umgehen zu können als mit Demonstrationen und Protestlagern. Die 1990er-Jahre, als überall im Land Bomben hochgingen und Islamisten Anschläge auf Kopten und Touristen durchführten, waren die Hochzeit des ägyptischen Sicherheitsapparates, der den Kampf am Ende für sich entscheiden konnte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2013)

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