Türkei. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan verurteilte die blutigen Ereignisse in Kairo aufs Schärfste. Außer dem Militär gibt er vor allem auch dem Westen Mitschuld an der blutigen Eskalation in Ägypten.
Istanbul. Nach dem gewaltsamen Vorgehen der ägyptischen Sicherheitskräfte gegen die Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi sieht die Türkei zwei Schuldige: die ägyptischen Militärs und den Westen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte sich ein paar Tage freigenommen und war in eine ungewohnte Funkstille abgetaucht, doch am Donnerstag meldete sich der türkische Premier mit gewohnt angriffslustigen Kommentaren zum Tagesgeschehen zurück.
Vor dem Abflug zu einer Reise nach Turkmenistan verurteilte Erdoğan die blutigen Ereignisse von Kairo und forderte eine sofortige Sitzung des UN-Sicherheitsrats. Er kritisierte erneut das ägyptische Militär, hatte aber auch viel Schlechtes über den Westen zu sagen. Dieser habe die Generäle in Kairo nach Mursis Sturz durch Schweigen ermuntert, statt eindeutig von einem Putsch zu reden, sagte Erdoğan. Jetzt trage der Westen eine Mitverantwortung für den Tod von mehreren hundert Menschen. „Wer angesichts dieses Massakers schweigt, macht sich an einem Verbrechen mitschuldig.“
Hinter verschlossenen Türen pflichteten westliche Politiker der türkischen Ansicht bei, wonach Mursi zum Opfer eines Putsches geworden sei. Offen sage das aber niemand. Diese Heuchelei – Lippenbekenntnisse zur Demokratie bei klammheimlicher Unterstützung des Militärregimes in Ägypten – habe den Westen viel Glaubwürdigkeit gekostet, sagte Erdoğan. „Wie könnt ihr da noch von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat reden?“
„Putschisten schwimmen im Blut“
Ausdrücklich reihte der Premier sich selbst und sein Land in die Schar jener ein, die an westlichen Vorstellungen von Demokratie Zweifel hegten. Der Westen wolle offenbar keine erstarkende islamische Welt und auch keine starke Türkei. Erdoğan steht mit seiner Kritik nicht allein.
Zwar sei auch Mursi mitverantwortlich für die Krise in Ägypten, weil seine Regierung Andersdenkende ausgegrenzt habe, schrieb Şükran Soner in der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“. Doch die Beseitigung einer demokratisch gewählten Regierung wie der von Mursi stärke am Ende nur die Extremisten. Taha Akyol, ein angesehener Kommentator der Zeitung „Hürriyet“, der nicht zu Erdoğans Anhängern zählt, schrieb von „schamloser Heuchelei“ des Westens.
„Putschisten schwimmen im Blut“, „Brutales Massaker“ und „Erbarmungsloses Morden“ lauteten die türkischen Zeitungsschlagzeilen vom Donnerstag. Die regierungsnahe Zeitung „Yeni Şafak“ vermutet hinter der Gewalt in Ägypten gar ein Komplott der USA, der EU und Israels mit dem Ziel eines „globalen Systems ohne Islam“.
Selbst weniger hitzköpfige Kommentatoren erwarten, dass sich islamistische Bewegungen in der Region jetzt vom System der Demokratie abwenden werden. Die Kolumnistin Asli Aydintaşbaş brachte das allgemeine Gefühl der Entrüstung über den Westen in der „Milliyet“ auf den Punkt: Stets habe der Westen den islamistischen Bewegungen geraten, sie sollten von der Gewalt ablassen und sich dem demokratischen Wettkampf an der Urne stellen. Dann habe Mursi die Wahl gewonnen – und sei prompt weggeputscht worden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2013)