Am „Freitag des Zorns“, zu dem die Muslimbrüder aufgerufen hatten, kam es erneut zu Blutvergießen. Die Demonstranten kündigen von nun an tägliche Proteste an.
Zu einem „Freitag des Zorns“ haben die Muslimbrüder aufgerufen. Zorn über die mehr als 600 Menschenleben, die der blutige Polizeieinsatz vom Mittwoch gegen zwei Protest-Camps der Islamisten in Kairo gefordert hatte. Die überwiegende Zahl der Toten waren Anhänger der Muslimbrüder, die gegen die Absetzung ihres Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär protestiert hatten.
Tatsächlich kam es schon bald nach dem Ende des Freitagsgebets im ganzen Land zu Unruhen und bald erneut zu tödlichen Auseinandersetzungen. Am späten Abend riefen die Muslimbrüder die Demonstranten auf, nach Hause zurückzukehren. Entwarnung bedeutet das aber keine: Ab sofort soll täglich protestiert werden.
In der Hauptstadt selbst war die Lage am Nachmittag unübersichtlich: Nachdem die Armee schon präventiv an mehreren Stellen Panzer aufgefahren hatte, waren am Nachmittag an mehreren Orten in der Innenstadt Schüsse zu hören, Augenzeugen berichteten via Twitter über Feuer aus automatischen Waffen beim Tahrir-Platz und im nahen Geschäftsviertel Zamalek. Auf einem Video waren Menschen zu sehen, die sich von einer Brücke an einem Seil herunterließen beziehungsweise heruntersprangen, um sich vor den Schüssen in Sicherheit zu bringen.
Aufruf zum Blutspenden
Bald wurden auch vom Ramses-Platz in Kairo die ersten neuen Todesopfer gemeldet. Am Abend war von 50 Toten allein in der Hauptstadt die Rede; etwa 30 Todesopfer gab es auch in anderen Städten. Aus den Spitälern wurde über einen stetigen Zustrom von Verletzten berichtet, die Bevölkerung zum Blutspenden aufgerufen.
Das Innenministerium forderte die Menschen in Kairo auf, bestimmte Orte im Zentrum der Hauptstadt zu meiden, damit sich die Sicherheitskräfte den „Terroristen“ entgegenstellen könnten. Derweil wuchs der diplomatische Druck auf die Militärs in Kairo und die von ihnen eingesetzte Übergangsregierung: Italiens Außenministerin Emma Bonino gab der Armee die Schuld an der Eskalation. Die Europäer hätten gemeinsam mit den USA vermitteln wollen, doch die Militärs hätten dies abgelehnt. Italien, einer der wichtigsten Waffenlieferanten für Ägypten, hat den Handel mit Kriegsgerät mit Kairo eingestellt und forderte die EU-Partner auf, dasselbe zu tun, solange das Notstandsrecht gelte.
EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erklärte, die Verantwortung für die „Tragödie“ laste schwer auf der Übergangsregierung und der politischen Führung Ägyptens. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel sagte nach einem Telefonat mit dem französische Präsidenten François Hollande, man werde die Beziehungen zu Kairo überprüfen müssen. Deutschlands Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel ließ Hilfsprogramme im Umweltsektor im Wert von 25 Millionen Euro stoppen. In anderen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit mit Kairo will Berlin vorerst aktiv bleiben.
Auch Dänemark und die Niederlande haben Hilfsprogramme im Wert von vier beziehungsweise acht Millionen Euro ausgesetzt. US-Präsident Barack Obama hatte noch am Donnerstag ein gemeinsames Militärmanöver der ägyptischen und der US-Streitkräfte abgesagt, äußerte sich aber nicht zu einem möglichen Einfrieren der 1,3 Milliarden Dollar schweren Militärhilfe für Kairo. Im Kongress mehren sich allerdings die Stimmen, genau das zu tun.
Manöver mit Türkei abgesagt
Zugenommen haben die Spannungen zwischen Ägypten und der Türkei: Nachdem Ankara und Kairo bereits am Donnerstag wechselweise ihre Botschafter abgezogen hatten, sagte Ägypten am Freitag eine gemeinsame Marineübung mit der Türkei ab, die den Namen „Meer der Freundschaft“ trug. In Ankara sah man die Sache anders und reklamierte das Absagen des Manövers für sich. Die islamisch-konservative Regierung der Türkei Ankara zählt zu den schärfsten Kritikern des Umsturzes in Kairo.
Saudiarabien hielt an seiner Unterstützung der Putschregierung in Kairo fest: Man stehe an der Seite derer, die den „Terrorismus“ bekämpfen, sagte König Abdullah in einer TV-Botschaft. Er rief die arabische Welt auf, „geeint“ zu sein gegenüber jenen, die Ägypten destabilisieren wollten. Das Königreich Saudiarabien, ein traditioneller Gegner der Muslimbruderschaft, hat nach dem Sturz von Präsident Mursi der neuen Regierung in Kairo fünf Milliarden Dollar Hilfsgelder zugesagt.
(Die Presse am Samstag, 17.08.2013)