Die Freilassung von Ex-Diktator Mubarak und die Anklage gegen ElBaradei lassen manche Säkulare im Applaus für den Putsch innehalten. Doch immer noch befürworten sieben von zehn Ägyptern die Gewalt gegen Muslimbrüder.
Mubarak ist draußen, Mursi ist eingesperrt, und ElBaradei ist in Wien. Hallo, 2010.“ Eine Meldung des Kurznachrichtendienstes Twitter, in der die Lage Ägyptens in nur 81 Zeichen zusammengefasst ist. Ein ägyptisches Gericht hat die Freilassung des gestürzten Diktators angeordnet, und Mubarak steht nun in einem Militärkrankenhaus unter Hausarrest. Der geputschte Präsident und Muslimbruder Mohammed Mursi wird immer noch an einem unbekannten Ort festgehalten. Der liberale Nobelpreisträger Mohammed ElBaradei, der einen Ausgleich mit allen Seiten gesucht hat und damit gescheitert ist, hat sich nach seinem Rücktritt als Vizepräsident der Übergangsregierung wieder nach Wien abgesetzt.
Alles zusammen wirkt fast so, als hätte jemand den „Reset-Knopf gedrückt“ und alles wieder auf die Fabrikseinstellung zurückgesetzt: auf die Zeit vor der Revolution.
Derweil ist die Freilassung Mubaraks juristisch korrekt. Er ist nicht rechtskräftig verurteilt und hat seine maximale Zeit von zwei Jahren Untersuchungshaft abgesessen. Zwei lange Jahre lang hatte man es nicht geschafft, gegen ihn eine vernünftige, wasserdichte Anklage zusammenzuzimmern.
Das alte System als „tiefer Staat“
Die Behörden haben die Untersuchungen sabotiert, Beweise sind verschwunden, und die Staatsanwaltschaft hat schlampig gearbeitet. Das von den Ägyptern als „tiefer Staat“ bezeichnete alte System hatte nie ein Interesse daran, Mubarak zu verurteilen. Jetzt ist er auf freiem Fuß, das Verfahren gegen ihn geht aber am Sonntag weiter. Am selben Tag beginnt auch der Prozess gegen die verhaftete Führung der Muslimbrüder. Zwei Verfahren, die schnell deutlich machen werden, wo der Wind weht.
Wie auch immer die juristischen Umstände zu bewerten sind: Die Freilassung Mubaraks ist Wasser auf die Mühlen jener, die argumentiert haben, dass der Putsch nur dazu diente, das alte Regime durch die Hintertüre wieder zurückzubringen. Einige liberale Cheerleader der Putsches bekommen nun erste Zweifel, ob ihre bedingungslose Unterstützung des Militärchefs Abdel Fattah al-Sisi richtig war. Auch eine bizarre Anklage, in der ElBaradei vorgeworfen wird, mit seinem Rücktritt, „das nationale Vertrauen“ verraten zu haben, lässt manche im Applaus für das Militär innehalten.
Aber die Zweifler sind immer noch eine Minderheit. Das Militär und die Medien führen ihre „Ägypten gegen den Terror“-Kampagne weiter, die das Volk vor die Wahl stellt: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Bisher funktioniert es: Sieben von zehn Ägyptern sehen laut Umfrage die gewaltsame Auflösung des Mursi-Protestlagers als richtig an. Immerhin 24 Prozent bezeichnen sie als einen Fehler. Die Herausforderung des Militärs lautet also: Schaffen wir es tatsächlich, ein Viertel der Bevölkerung als Terroristen auszuschalten oder als Landesverräter zu diskreditieren? Oder geht der Schuss nach hinten los?
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2013)