In Washington tickt der Countdown

US-Außenminister Kerry
US-Außenminister Kerry(c) EPA (MICHAEL REYNOLDS)
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US-Außenminister Kerry bereitete rhetorisch und argumentativ das Terrain für Präsident Obama. Er muss die Skepsis einer kriegsmüden Nation erst noch überwinden.

Wien/Washington. Der Präsident schickte seinen Außenminister an die PR-Front, um die Gründe für den bevorstehenden Waffengang darzulegen. Vor mehr als zehn Jahren, im Februar 2003, hob Colin Powell im UN-Sicherheitsrat in New York im Namen George W. Bushs zu einer Anklage gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein an, die sich hinterher als Blamage herausstellen sollte. Sein französischer Amtskollege Dominique de Villepin zerpflückte ihn nach allen Regeln der Kunst. Noch Jahre später bereute der US-Außenminister seinen damaligen Fehler, die Vorwürfe für das Arsenal von Massenvernichtungswaffen aus dubiosen Quellen fabriziert zu haben.

John Kerry sollte in der Nacht zum Dienstag nicht in eine solche Verlegenheit kommen. Er trat im Außenministerium in Washington vor die Presse, die Regierung hatte einen Soloauftritt ohne Zeit für Antworten inszeniert. Hinterher verdoppelte im Weißen Haus Präsidentensprecher Jay Carney die Anschuldigungen noch.

„Moralische Obszönität“

Der bedächtige Vietnamveteran und spätere Kriegsgegner Kerry, alles andere als ein Heißsporn, schwang die Keule und sprach von einer „moralischen Obszönität“. Die Beweise für den Giftgasangriff des syrischen Regimes gegen die eigene Bevölkerung seien unbestreitbar, die USA würden sie in der Folge noch vorlegen, kündigte er an – und verwies auf einen schockierenden Report der „Ärzte ohne Grenzen“. Zugleich bezichtigte er Syriens Diktator Bashar al-Assad des „zynischen“ Versuchs, die Spuren der Attacke zu vertuschen – das sei ein „feiges“ Manöver.

Der Chefdiplomat hatte sich in Rage geredet. Wie Obama schmiedet er in Telefonaten eine „Koalition der Willigen“. Rhetorisch wie argumentativ bereitete Kerry das Terrain für den Präsidenten. In den kommenden Tagen müsse sich Barack Obama an die Amerikaner wenden, um die Umstände einer Intervention zu erläutern, forderte John Boehner, der republikanische Führer des Repräsentantenhauses. Wie seine Vorgänger wird der Präsident im Kriegsfall die Nation wohl in einer TV-Ansprache einschwören. Laut einer Umfrage lehnten noch am Wochenende 60 Prozent der US-Bürger einen Militärschlag ab. Dieser Stimmung trug Obama in den vergangenen Jahren Rechnung. Er holte die US-Soldaten heim, er beendete den Irakkrieg vorzeitig und er setzte dem Afghanistan-Einsatz nach einer kurzfristigen Aufstockung des Kontingents ein Ablaufdatum.

Die Kriegsskepsis in den USA ist weit verbreitet. Auch der Libyen-Krieg vor zweieinhalb Jahren, als Briten und Franzosen die Obama-Regierung zum Handeln drängten, stieß in der Heimat auf ein geteiltes Echo. In einer Krisensitzung des nationalen Sicherheitsrats im Weißen Haus prallten jetzt Falken und Tauben aufeinander. Generalstabschef Martin Dempsey wurde nicht müde, seine Zweifel zu äußern. Keinesfalls, warnt er, dürfe sich Washington in einen Konflikt mit höchst unsicherem Ausgang hineinziehen lassen. Die Bereitstellung von Bodentruppen schloss er dezidiert aus. Selbst der Schaffung einer Flugverbotszone, wie sie der Republikaner John McCain seit Jahr und Tag urgiert, steht der oberste Militär negativ gegenüber.

Zeit des Redens ist vorbei

Für eine Verhandlungslösung schien in Washington die Zeit abgelaufen. In einer symbolischen Geste sagten die USA für heute Mittwoch ein Vorbereitungstreffen in Den Haag für eine Syrien-Konferenz ab, die Option für ein UN-Mandat hat Washington wegen des Widerstands der Vetomacht Russland ohnedies aufgegeben. Nun tickt der Countdown für einen begrenzten Militärschlag, der laut „Washington Post“ zunächst auf zwei Tage beschränkt sein solle. Die Frage sei nicht, ob die im Mittelmeer zusammengezogene Armada losschlägt, sondern nur wann, sind sich die Politauguren in Washington sicher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2013)

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