Milinkewitsch: „Gefangene sind Lukaschenkos Tauschware“

Alexander Milinkewitsch
Alexander Milinkewitsch (c) EPA (Lucas Dolega)
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Der Oppositionsführer Alexander Milinkewitsch fordert „ein klares Angebot“ der EU an den autokratischen Präsidenten Lukaschenko und beklagt sich über die „opportunistische“ Jugend in seinem Land.

Die Presse: Das Interesse an der Lage in Weißrussland ist mit der Syrien- und der Eurokrise abgeflaut – obwohl Präsident Alexander Lukaschenko das Assad-Regime unterstützt.

Alexander Milinkewitsch: Die EU ist ziemlich enttäuscht. Man hat es mit Sanktionen probiert, aber sie haben nichts gebracht. Lukaschenko wird kein Demokrat, die demokratische Opposition vereinigt sich nicht. Auch in Polen, das in Brüssel immer Druck gemacht hat, macht sich Enttäuschung breit.

Ihre Bewegung „Für die Freiheit“ will zusammen mit weiteren Oppositionsgruppen ein Referendum abhalten. Ändert dies etwas?

Wir hoffen es. Zumindest den Polen gefällt dieser Plan: Er bedeutet Dialog mit dem Volk, ist ein Beitrag zur Demokratisierung von unten und trägt zur Stärkung der Unabhängigkeit Weißrusslands bei. Damit wird nicht alles gut, aber Polen will ja keine Revolution, sondern eine Evolution.

Worüber sollen die Weißrussen abstimmen?

Zuerst müssen wir eine halbe Million Unterschriften sammeln. Das Referendum selbst ist bewusst nicht für oder gegen Lukaschenko. Denn die Erfahrung aus meinem Präsidentschaftswahlkampf 2006 zeigt, dass eine Diskussion über Unterdrückung nur interessant für den engen Kreis der Demokraten ist, doch die Mehrheit ganz andere Probleme hat. Deshalb bereiten wir vier oder fünf konkrete Fragen vor: unter anderem über die Finanzierung des Bildungs- und Gesundheitswesens, ob Bürgermeister frei gewählt oder von Lukaschenko ernannt werden sollen.

Wieso ist die Unterstützung für die Opposition trotz Wirtschaftskrise im Jahr 2011 gesunken?

Die Krise ist überall sichtbar. Der Durchschnittsverdienst liegt nur auf dem Papier bei 500 Dollar, die Inflation hat das meiste aufgefressen. Zwölf Jahre lag die demokratische Opposition in unabhängigen Umfragen bei 20 bis 30 Prozent, jetzt liegen wir noch bei 15 bis 17 Prozent. Die Opposition hat große Fehler begannen: Vor allem ist sie tief zerstritten. Wir haben jahrelang um die Führung gekämpft, um Einladungen zu Gesprächen nach Brüssel. Diese primitiven Ziele und der Zwist haben das Volk abgeschreckt. Dazu hat die Opposition vor Wahlen oft Fragen aufgeworfen, die für die meisten Bürger unverständlich sind – etwa den Streit um einen Wahlboykott. Das ist den Leuten doch egal, denn jeder weiß, dass es sowieso keine freien Wahlen gibt. Zudem hat der Ruf eines Teils der Opposition nach Wirtschaftssanktionen geschadet: Die Mehrheit der Bürger will keine Krise und hat Angst vor Arbeitslosigkeit.

Auch Lukaschenko hat weniger Unterstützung ...

Lukaschenko lag jahrelang bei 50 bis 60 Prozent. Nach der Wirtschaftskrise sank er in Umfragen auf 20 Prozent. Dank russischer Wirtschaftshilfe hat er sich heute wieder auf 30 Prozent verbessert. Der Streit um den Staatskonzern Belaruskali brachte ihm viel Sympathie. Selbst Gegner loben ihn für den Schlag gegen russische Oligarchen, die das Werk übernehmen wollten.

Umfragen zeigen auch, dass etwa die Hälfte der Weißrussen weder Lukaschenko noch die Opposition unterstützt. Viele davon sind Jugendliche.

Mit der Jugend haben wir ein großes Problem. Austauschprogramme mit der EU würden helfen. Auch Studienplätze in Polen und dem Baltikum sind wichtig, die Führungsriegen vieler Transformationsländer hat sich aus solchen Ex-Auslandsstudenten rekrutiert. Unsere Jugend wächst zu einer Generation von Opportunisten heran, die für einen Arbeitsplatz jede Form der Macht akzeptieren. Sie sind keine Sowjetmenschen mehr, aber auch keine Europäer. Sie machen mir große Sorgen.

Wen können Sie am ehesten überzeugen?

Am leichtesten haben wir es in der mittleren Generation, die sich noch an die Zeit vor Lukaschenko erinnern kann, aber gleichzeitig nicht zurück in die Sowjet-Ära will. Wir müssen nicht immer nur vor der Diktatur warnen, sondern zeigen, dass wir unsere Forderungen umsetzen und das Land aus der Krise führen können. Wir müssen unterstreichen, dass wir nicht alles ändern wollen, denn auch in Lukaschenkos Machtapparat gibt es gute Fachleute ohne Blut an den Händen. Man kann nicht alle ersetzen.

Die Unterschriftensammlung für das Referendum soll kurz vor dem EU-Ostpartnerschaftsgipfel im November in Vilnius beginnen. Was erwarten Sie von dem Gipfel für Weißrussland?

Alles hängt davon ab, ob Lukaschenko politische Gefangene freilässt, wie das die EU fordert. Brüssel muss bedenken, dass Lukaschenko die Möglichkeit haben muss, sein Gesicht zu wahren. Lukaschenko ist ein Händler – politische Gefangene sind seine Tauschware. Er muss ein klares Angebot bekommen, um zu verhindern, dass nach dem Gipfel wieder Aktivisten eingesperrt werden.

Wahrscheinlich vertritt Außenminister Wladimir Makei Weißrussland in Vilnius. Was kann man erwarten?

Für Makei ist die Unabhängigkeit Weißrusslands wichtig. Er ist proeuropäisch, hat in Europa gearbeitet, die Diplomatische Akademie in Wien abgeschlossen. Er kennt und schätzt Europa. Er ist progressiv, ein Reformer.

Zur Person

Alexander Milinkewitsch ist der Anführer der politischen Oppositionsbewegung gegen den weißrussischen Machthaber Lukaschenko. Der promovierte Physiker trat als gemeinsamer Kandidat der Oppositionsparteien bei der Präsidentenwahl 2006 an, vor der Wahl wurde er festgenommen. [EPA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2013)

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