Wegen Falschparkens aus Amerika vertrieben

Wegen Falschparkens Amerika vertrieben
Wegen Falschparkens Amerika vertrieben(c) EPA
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Zwanzig Jahre lang lebte der Mexikaner Joaquín Orozco illegal in den USA, dann wurde der vierfache Vater nach Mexiko abgeschoben. Immer mehr Auswanderer werden zurück in ihre Heimat geschickt. Eine Reportage.

Joaquín Orozco redet immer noch so, als würde er weiterhin in den USA leben. „Ich bin mit 20 Jahren hierher nach Kalifornien gekommen“, sagt er. Er sitzt im Speisesaal eines vom Salesianerorden betriebenen Hilfswerks in Tijuana, und Kalifornien liegt nur ein paar hundert Meter entfernt. Doch seit dem 21. August 2012 ist es für Orozco verbotenes Land.

An jenem Tag haben US-Behörden den 40-jährigen Schweißer nach Mexiko zurückgeschickt. Seine Heimat hatte er seit zwei Jahrzehnten nicht mehr betreten. Zurück in Kalifornien blieben seine Frau und seine vier Kinder. Zwei von ihnen sind in den USA geboren und besitzen den US-Pass. Orozco hatte sich hochgearbeitet in der Fremde, kurz vor seiner Verhaftung hatte er einen kleinen Handwerksbetrieb eröffnet. Jetzt schneidet er in der Küche des Hilfswerks Brotlaibe. Jede Sekunde bereut er, im Juli 2012 eine Strafe wegen Falschparkens nicht bezahlt zu haben.

Ratlosigkeit im Gesicht

Morgens stellen sich vor der Suppenküche mehr als 1000 Personen an, um die einzige ordentliche Mahlzeit des Tages zu erhalten. Es sind fast ausschließlich Männer. Vielen von ihnen sieht man an, dass sie die Nacht auf der Straße verbracht haben. Sie werden in Gruppen in den Speisesaal vorgelassen, essen schweigend, gehen zurück nach draußen. Im Gesicht haben sie die müde Ratlosigkeit derjenigen, die schon morgens nichts mehr zu tun haben, außer den Tag hinter sich zu bringen.

Das Hilfswerk bietet den Migranten auch die Möglichkeit, sich die Haare schneiden zu lassen, in anderen Regionen Mexikos oder in den USA lebende Verwandte anzurufen. Und zu duschen. Allerdings gibt es nur eine Dusche. 50 Männer schlafen in Kajütenbetten im oberen Stock, darunter auch Joaquín Orozco. Margarita Andonaegui, die das Hilfswerk gemeinsam mit einem Pater leitet, verurteilt die Ausweisungspolitik der Amerikaner ohne Wenn und Aber. „Sie zerstört Existenzen, sie reißt Familien auseinander, sie stürzt Menschen ins Unglück, die in den USA jahrelang lebten und schlecht bezahlte Arbeit verrichtet haben.“ Noch vor einigen Jahren hätten im Hilfswerk täglich rund 400 Migranten gefrühstückt, jetzt seien es an manchen Tagen bis zu 1500.

Migranten wird das Geld geraubt

Kürzlich sei ein Mann bei ihr im Büro gesessen, den ein Hund der US-Grenzpolizei Border Patrol in den Oberarm gebissen habe. „Sie haben die Wunde notdürftig verarztet, ihm Schmerzmittel gegeben und ihn an die Grenze gebracht. ,One Nation under God‘, sagen die Gringos von ihrem Land. Was für ein Zynismus.“

Die mexikanischen Ordnungshüter seien aber keinen Deut besser. Es komme häufig vor, dass Polizisten obdachlose Migranten verhaften und ihnen das Geld rauben würden, das sie in den USA verdient haben. Viele Abgeschobene besitzen keine Papiere. Falls sie zu ihren Angehörigen in andere mexikanische Bundesstaaten zurück wollen, beschafft ihnen die Betreuerin ein Flugticket und einen Notausweis, den eine einzige mexikanische Fluglinie als Reisedokument akzeptiert. Das Hilfswerk finanziert sich durch Spenden und wird seit Kurzem von der Regierung unterstützt.

Orozcos Leben in der Kleinstadt Perris scheiterte an einer Verkehrskontrolle und einer Nachlässigkeit. Dass er es verabsäumt hatte, die Strafe zu bezahlen, reichte, um ihn zu verhaften und auszuweisen. Fünf Tage saß er im Gefängnis. Später erfuhr er, dass seine Kinder glaubten, er habe die Familie verlassen. Seine Frau konnte er nicht anrufen, weil sie kurz zuvor ihre Handynummer gewechselt und er sein eigenes Handy, auf dem die Nummer gespeichert war, daheim vergessen hatte. Ein Anwalt sagte ihm, er könne die Ausweisung gerichtlich anfechten, doch dauere das Verfahren zwischen sechs und zwölf Monate. Da der Mexikaner während dieser Zeit inhaftiert gewesen wäre, zog er es vor, seine „freiwillige Deportation“ zu unterschreiben.

Die Polizei flog ihn mit 150 anderen illegalen Einwanderern nach Texas. Von dort wurde er in die mexikanische Stadt Matamoros abgeschoben. „Wir waren während des Fluges gefesselt wie Schwerverbrecher“, sagt Orozco. Mit den 450 Dollar, die er bei der Verhaftung bei sich getragen hatte, kaufte er ein Flugticket nach Tijuana. Viermal versuchte er seither vergebens, illegal in die USA zurückzukehren. Immer wurde er dabei erwischt.

Während Barack Obamas erster Amtszeit als US-Präsident wurden 1,6 Millionen Personen abgeschoben – 60 Prozent mehr als während George W. Bushs zweiter Amtszeit. Laut einer Studie des mexikanischen Zentrums für angewandte Statistik haben die US-Behörden 2012 allein zwischen Jänner und Juni 46.000 Mütter und Väter von Kindern mit US-Staatsbürgerschaft ausgewiesen.

Viele Abgeschobene sind Väter

Die Wirtschaftskrise in den USA hat zwar den Zustrom illegaler Einwanderer aus dem Süden stark abschwellen lassen. Viele mexikanische Arbeiter, die in Branchen wie dem Baugewerbe beschäftigt waren, sind freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt. Der so genannte Migrationssaldo zwischen Mexiko und den USA liegt deshalb gegenwärtig bei null. Doch werden im Rahmen eines „Secure Community“ genannten Programms immer mehr illegale Einwanderer verhaftet und abgeschoben, die sich längst nicht mehr in der Grenzregion befinden, sondern anderswo in den USA leben.

2005 betrug der Anteil der Abgeschobenen, die sich mehr als ein Jahr im Land aufgehalten hatten, sechs Prozent. 2012 waren es bereits 35 Prozent, und davon wiederum waren dreiviertel Familienväter. „Noch vor einigen Jahren konnte sich ein illegaler Einwanderer relativ sicher fühlen, wenn er das Grenzgebiet erst einmal verlassen hatte. Heute nicht mehr“, sagt die Migrationsexpertin Alejandra Castañeda.

Orozco hat nur noch ein Ziel im Leben: zurück nach Kalifornien, heim zu seiner Frau und den Kindern. Einer der täglich im Hilfswerk frühstückenden Migranten kenne einen sicheren Weg auf die andere Seite. In zwei Wochen werden die beiden Männer versuchen, in einem sechsstündigen Fußmarsch durch die Wüste wieder in die USA zu gelangen. Laut Schätzungen der US-Grenzpolizei liegen die Erfolgschancen für einen illegalen Migranten trotz Grenzmauern und Überwachungstechnik noch immer bei 50 Prozent.

Auf einen Blick

Während Barack Obamas erster Amtszeit als US-Präsident wurden 60 Prozent mehr Einwanderer aus den USA abgeschoben als während der zweiten Amtszeit George W. Bushs. Laut einer Studie des mexikanischen Zentrums für angewandte Statistik haben die US-Behörden im Vorjahr allein zwischen Jänner und Juni 46.000 Mütter und Väter von Kindern mit amerikanischer Staatsbürgerschaft ausgewiesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2013)

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