„Brauchen endlich Mindestheiratsalter für Mädchen"

Brauchen endlich Mindestheiratsalter fuer
Brauchen endlich Mindestheiratsalter fuer(c) Katharina Eglau
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Jemens Menschenrechtsministerin zum Tod eines achtjährigen Mädchens, das in der Hochzeitsnacht vergewaltigt wurde.

Kairo/Sanaa. Nach Medienberichten ist im Norden des Jemen ein achtjähriges Mädchen nach ihrer Vergewaltigung in der Hochzeitsnacht an inneren Blutungen gestorben; ihre Gebärmutter riss durch den erzwungenen Geschlechtsverkehr. Das Verbrechen hat weltweit Aufsehen erregt, auch wenn Behörden und Familie in der abgelegenen Region den Tod des Kindes nach wie vor bestreiten. "Die Presse" sprach mit der jemenitischen Frauenrechtlerin und Ministerin für Menschenrechte Horia Mashhoor Ahmed über den Fall.

Was wissen Sie über das Schicksal der achtjährigen Rawan?

Horia Mashhoor Ahmed: Nachdem ich von dem Fall gelesen habe, habe ich einen Vertrauten in die Gegend geschickt, um die Wahrheit herauszufinden. Er hatte den Eindruck, dass die Leute vor Ort etwas vertuschen wollen. Niemand wollte ihm Auskunft geben, die Polizei streitet alles ab. Fest steht, dass die Hochzeit der achtjährigen Rawan stattgefunden hat - aber nicht im Heimatdorf der Familie, sondern in einem anderen Dorf. Es ist gut, dass das Schicksal von Rawan so große internationale Aufmerksamkeit findet. Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hat an Jemens Regierung geschrieben und Aufklärung verlangt.

Was muss geschehen?

Zunächst müssen wir die Täter finden und zur Verantwortung ziehen. Dann müssen wir endlich ein Mindestheiratsalter für Mädchen in unseren Gesetzen verankern und durchsetzen. Ich habe heute erneut an den Generalstaatsanwalt geschrieben und ihn aufgefordert, endlich mit Nachdruck zu ermitteln. Und ich habe an den Parlamentspräsidenten geschrieben, das Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

Warum ist bisher nichts geschehen?

Seit über zehn Jahren versuchen wir, auf Regierung und Parlament Druck auszuüben, diesen Missstand zu beheben und ein Mindestheiratsalter von 17 Jahren einzuführen. Die Herrschaften haben das immer wieder versprochen, zuletzt in den Jahren 2009 und 2010, und dann doch nichts getan. Begründung war, man müsse das Thema noch eingehender diskutieren. In Wirklichkeit wollen sie dieses Gesetz einfach nicht in Kraft setzen. Der Südjemen hatte ein solches Gesetz, es wurde 1998 im Zuge der Wiedervereinigung mit dem Norden gestrichen. Und so ist Jemen heute zusammen mit Saudi-Arabien das einzige muslimische Land auf der Welt, in dem minderjährige Mädchen nach wie vor straflos verheiratet werden dürfen.

Welche Dimensionen hat dieser Missstand im Jemen? Nach Angaben der Unesco heiraten 14 Prozent der Mädchen im Alter unter 15 Jahren, 52 Prozent im Alter unter 18 Jahren.

Es ist ein sehr großes Problem, vor allem auf dem Land. Manchmal werden Mädchen, wie Rawan, bereits mit acht oder neun Jahren verheiratet. 70 Prozent des Jemen sind ländliche Gebiete, dort lebt ein Viertel der Bevölkerung. Die Menschen haben keinen Zugang zu Bildung. Sie denken sehr einfach und traditionell. Für Kinderhochzeiten gibt es zwei Gründe. Erstens plädieren religiöse Extremisten die mit Berufung auf den Islam dafür; sie sind vor allem von Saudi-Arabien beeinflusst. Der viel größere Faktor aber ist die Armut. Die Familien wollen ihre verzweifelte Lage durch den Brautpreis für ihre kleinen Töchter aufbessern. Andere verkaufen ihre Kinder, Jungen und Mädchen, an Menschenhändler. Die meisten werden nach Saudi-Arabien verschleppt, wo sie ausgebeutet und misshandelt werden.

Was kann die Regierung tun?

Wir müssen die Armut bekämpfen und das Bewusstsein schärfen, dass Kinderehen für die Mädchen ein hohes gesundheitliches Risiko bedeuten. Auch müssen wir den Eltern klarmachen, dass ihre Töchter genauso ein Recht auf Schulbildung haben wie ihre Söhne. Alle Mädchen sollten zumindest bis 16 die Grundschule absolvieren.

Zur Person

Horia Mashhoor Ahmed gilt als eine der engagiertesten Frauenrechtlerinnen im Jemen. Sie war jahrelang Vizechefin der Nationalen Frauenorganisation. Nach der vom Volk nach monatelangen Protesten erzwungenen Abdankung des jemenitischen Langzeitherrschers Ali Abdullah Saleh wurde sie im Dezember 2011 im neuen Kabinett der nationalen Versöhnung zur Ministerin für Menschenrechte ernannt.

("Die Presse" Printausgabe vom 18.09.2013)

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