Russland und der Westen rangen am Dienstag um die Interpretationshoheit über die Resultate der UN-Inspektionen.
Wien/Hd. Warum starben am 21.August in Vororten der syrischen Hauptstadt, Damaskus, so viel mehr Menschen als bei ähnlichen mutmaßlichen Giftgasangriffen zuvor? Der nun veröffentlichte UN-Bericht gibt eine banale Antwort: wegen des Wetters. In der Nacht auf den 21.August kühlte es rund um Damaskus ab. Als in den frühen Morgenstunden die Raketen mit ihrer tödlichen Fracht einschlugen, wurde das Giftgas von der Luft am Boden gehalten: „Werden Chemiewaffen unter solchen meteorologischen Bedingungen eingesetzt, maximiert das ihren Effekt, da das schwere Gas nahe am Boden bleibt und in die unteren Stockwerke der Gebäude eindringt, wo viele Leute Schutz suchen.“
Neben solch erschütternden Details erhält der Bericht höchst Brisantes: Er nennt nicht explizit einen Urheber des Angriffs, doch mehrere Indizien, die klar auf das Assad-Regime hindeuten, etwa die folgenden:
•Raketen von Kaliber 140 mm (kyrillische Schriftzeichen lassen auf sowjetische Provenienz schließen) und 330 mm (Waffenexperten von Human Rights Watch vermuten syrischen Eigenbau), wie sie nur das Regime, nicht aber die Rebellen besitzen.
•In Annex V werden Winkel für die Flugbahn angegeben, anhand derer man den Abschussort berechnen kann. Die UN-Berichterstatter extrapolierten dies nicht, aber Analysten im Auftrag von Human Rights Watch (HRW) und der „New York Times“. Demnach seien die Raketen von einem Armeekomplex abgefeuert worden.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow brachten die Indizien nicht von der Moskauer Linie ab, die Rebellen für den Angriff verantwortlich zu machen. „Wir haben ernsten Grund zur Annahme, dass dies eine Provokation war“, sagte Lawrow am Dienstag. Immer wieder hätten die Rebellen schließlich in den vergangenen zwei Jahren versucht, eine (westliche) Intervention zu provozieren, meinte er. China hielt sich mit einer Interpretation zurück und ließ nur verlauten, man werde den UN-Bericht genauestens unter die Lupe nehmen.
Für die USA, Großbritannien und Frankreich machen die Resultate der UN-Inspektionen indes einmal mehr klar, dass niemand anderer als das Assad-Regime den Giftgasangriff verübt haben konnte.
Made in Nowosibirsk
Der UN-Bericht bestätigt sozusagen weltamtlich, was westliche Geheimdienste und Organisationen wie Human Rights Watch bereits an Indizien an die Öffentlichkeit gebracht haben. Besonders detailliert war ein vor Tagen veröffentlichter HRW-Bericht, der die sowjetischen Geschosse aufgrund der aufgedruckten Nummer 179 bis in eine Raketenfabrik im russischen Nowosibirsk zurückverfolgt. Für diese M14-Raketen gibt es drei Arten von Gefechtsköpfen: Splitter, Phosphor und Giftgas, die ersten zwei konnten ausgeschlossen werden.
Manches, was Experten bisher aus der Ferne beurteilen mussten, konnten die UN-Inspektoren während ihrer kurzen Besuche (einmal zwei, einmal fünfeinhalb Stunden) selbst begutachten. Und sie führten Dutzende Interviews mit Überlebenden, Ersthelfern und Ärzten. Ihre Schlussfolgerung: Die Proben würden „den klaren und überzeugenden Beweis liefern, dass Boden-Boden-Raketen mit dem Nervengas Sarin eingesetzt wurden“. Das syrische C-Waffenarsenal besteht hauptsächlich aus Sarin. Dass auch die Rebellen über Bestände verfügen und sich auf deren Handhabung verstünden, ist nicht bekannt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2013)