Oppositionsführer: "Assad muss bestraft werden"

Oppositionsführer Michel Kilo
Oppositionsführer Michel Kilo(c) Imago/Tar-Tass
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Der syrische Oppositionsführer Michel Kilo will Assads Regime vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen. Russland wirft er "Unmenschlichkeit" vor.

Die Presse: Aus dem Bericht der UN-Inspektoren geht hervor, dass in Syriens Hauptstadt Damaskus Chemiewaffen eingesetzt worden sind. Was sollte die internationale Gemeinschaft nun tun?

Michel Kilo: Man sollte Bashar al-Assad für sein Verbrechen bestrafen. Wir sind auch dafür, dass alle chemischen Waffen aus Syrien entfernt werden. Aber dass Assad, der seit zweieinhalb Jahren alle möglichen Waffen gegen uns einsetzt, an der Macht bleibt und nicht bestraft wird, ist ungerecht.

Aber wie sollte so eine „Bestrafung“ – wie Sie es nennen – aussehen? Sie sind immer gegen eine ausländische Militärintervention eingetreten. Haben Sie nun Ihre Meinung geändert?

Wir wollen unseren Konflikt nicht noch komplizierter machen. Wir wollen keine internationale Konfrontation in unserem Land. Es genügt, dass sich die Iraner und andere bereits in Syrien einmischen. Ich will keine internationale Intervention. Aber ich will eine ausbalancierte internationale Politik zu Syrien. Die gibt es derzeit nicht: Die Russen stehen bis zum Ende zum Assad-Regime. Und die Amerikaner administrieren nur unsere Krise. Wir brauchen keine Männer anderer Länder, die für unsere Freiheit kämpfen, aber wir brauchen Gerechtigkeit. Der Internationale Strafgerichtshof muss das Regime bestrafen.

Um den Strafgerichtshof einzuschalten, müsste aber Russland im UN-Sicherheitsrat zustimmen.

Natürlich müssten die Russen mitmachen. Aber sie werden es nicht tun. Es ist für uns unverständlich und inakzeptabel, was die Russen in unserem Land machen. Sie verfolgen eine Politik, die unmenschlich ist. Wir sind diejenigen, die den Preis bezahlen. Die Russen oder die Iraner werden nicht in Massen in Syrien getötet, es sind die Syrer.

Der Giftgaseinsatz am 21. August wurde durchgeführt, als die UN-Chemiewaffeninspektoren gerade in Damaskus waren. Das führte auch zur Einschätzung, es sei unwahrscheinlich, dass das Regime für die Attacke verantwortlich ist. Warum sollte Assad so etwas unter den Augen der Inspektoren tun?

Aber jetzt gibt es internationale Beweise dafür, dass das Regime diese Waffen eingesetzt hat. Es gibt die Beweise, dass schwere Raketen für diesen Angriff verwendet wurden, die die Opposition nicht besitzt. Und es ist klar, dass diese Raketen von einem Berg in der Nähe von Damaskus abgefeuert worden sind, der hundertprozentig vom Regime kontrolliert wird. Trotzdem sagen die Russen nun, es gebe nicht genügend Beweise. Sie wollen nicht zugeben, dass es das Regime war und dafür zur Rechenschaft gezogen werden muss. Wie können wir Syrer mit dem Mann, der den Befehl zum Einsatz dieser Waffen gegeben hat, Frieden schließen?

Halten Sie es für möglich, dass ein C-Waffen-Angriff von Teilen der syrischen Truppen ohne Zustimmung der Führung durchgeführt wurde?

Das Regime hat einmal gesagt: Assad überwache persönlich den Verlauf der Kämpfe im ganzen Land und entscheide persönlich in den wichtigen Fragen. Einen Befehl zum C-Waffen-Einsatz kann nur Assad geben. Das Regime hat bis zum Angriff in Damaskus am 21.August 14-mal Chemiewaffen eingesetzt. Und die Russen behaupteten immer, es sei die Opposition gewesen. Sie beharren auch weiter darauf, der Konflikt in Syrien sei ein Kampf zwischen islamischen Extremisten und einem laizistischen Regime. Aber das ist nicht der Fall.

Laut einer neuen britischen Studie zählt aber etwa die Hälfte der Rebellen zu jihadistischen Gruppen. Und in den christlichen Kirchen Syriens wächst die Angst, dass nach einem Sturz des Regimes Extremisten an die Macht kommen.

Ich glaube nicht, dass die Hälfte der Rebellen Extremisten sind. Ich denke, es sind zwischen acht und zwölf Prozent, an manchen Orten vielleicht 15 Prozent. Das Regime hat von Anfang an versucht, die konfessionelle Karte zu spielen und unseren Kampf für die Freiheit in einen Kampf der Konfessionen zu verwandeln. Die Kommandanten dieser extremistischen Rebellen sind meiner Meinung nach Handlanger des Regimes.

Sie wollen also sagen, dass diese extremistischen Gruppen vom Regime organisiert werden?

Sie kämpfen doch vor allem gegen die Opposition. Die Gruppe „Islamischer Staat im Irak und der Levante“ etwa hat im Juli 29 Offiziere der „Freien Syrischen Armee“ getötet. Ich habe Informationen, dass sie auch beschlossen haben, mich zu töten.

Weil Sie Christ sind?

Weil ich Ungläubiger bin und das hat nichts mit Konfessionen zu tun. Sie teilen alle in Gläubige und aus ihrer Sicht Ungläubige ein – und dazu zählen sie auch Muslime. Für sie ist die FSA eine „Armee der Ungläubigen“.

Wie könnte jetzt noch eine Lösung für Syrien aussehen?

Wir haben gesagt: Wenn die ersten sechs Punkte des Genfer Abkommens erfüllt werden, wenn eine Übergangsregierung gebildet werden soll und das Ziel wirklich die Umwandlung Syriens in einen demokratischen Staat wäre, würden wir sofort wieder zu Verhandlungen nach Genf kommen. Aber der erste Punkt des Abkommens, die Einstellung des Feuers gegen die Bevölkerung, ist noch nicht erfüllt worden. Assad hat kein Interesse daran: Er hat mehrere Offensiven gestartet und C-Waffen eingesetzt.

Zur Person

Der syrische Oppositionelle Michel Kilo führt das „Syrische Demokratische Forum“ an, einen linken Block innerhalb des Oppositionsbündnisses Syrische Nationale Koalition. Der 1940 geborene syrische Christ und Intellektuelle wurde vom Regime zum ersten Mal Anfang der Achtzigerjahre ins Gefängnis gesteckt. Er gehörte 2005 zu den Unterzeichnern der Damaszener Erklärung für Reformen in Syrien und wurde erneut verhaftet. Derzeit lebt er in Frankreich im Exil.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2013)

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