Bis zu 300 eritreische Flüchtlinge dürften vor Italiens Küste ertrunken sein, als ihr Boot in Seenot geriet und sank. Die meisten Migranten nutzen das Chaos in Libyen für die Fahrt übers Mittelmeer.
Wien/Lampedusa. Der Sprung ins kalte Wasser war für sie die letzte Hoffnung auf Rettung, doch für Dutzende Flüchtlinge endete er tödlich: Vermutlich kamen mehr als 300 Flüchtlinge vor der Küste der süditalienischen Insel Lampedusa ums Leben, als auf ihrem Boot Feuer ausbrach und es sank.
Etwa 500 Menschen befanden sich an Bord des überfüllten 20 Meter langen Kahns – alle kamen aus Eritrea. Bis zum Donnerstagabend konnten nur 150 Überlebende geborgen werden. Und mindestens 100 Tote – unter ihnen auch vier Kinder.
Entsetzen allerorts. Papst Franziskus zeigte sich „erschüttert“ und rief dazu auf, für die Todesopfer zu beten. Italiens Premier Letta sprach von einer „immensen Tragödie“, der schlimmsten der vergangenen Jahre. „Es ist fürchterlich, wie auf einem Friedhof“, sagte Lampedusas Bürgermeisterin Giusi Nicolini.
Doch war die Katastrophe nicht absehbar? Es handelte sich bereits um das zweite Flüchtlingsboot, das diese Woche vor Lampedusa unterging. Täglich stranden auf der Mittelmeerinsel Dutzende Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Somalia, Syrien und – wie der aktuelle Fall zeigt – aus Eritrea. Sie bezahlen Schlepper, die sie von nordafrikanischen Hafenstädten aus nach Italien bringen.
„Derzeit kommen fast alle Flüchtlinge über Libyen“, erklärt Ruth Schöffl vom Wiener Büro des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) im Gespräch mit der „Presse“. Unter der Herrschaft des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi sei es fast unmöglich gewesen, von libyschen Küstenstädten aufzubrechen – damals wählten Flüchtlinge meist die tunesische Route. Doch jetzt nutzen Schlepper das Chaos in Libyen. Zahlen darüber, wie viele sich vom Wüstenstaat aufmachen, gibt es keine. Doch die meisten der rund 30.100 „Boat People“, die bis Ende September des Jahres allein in Italien ankamen, dürften wohl von dort aufgebrochen sein. Neben Italien steuern die Boote auch Malta sowie Griechenland an.
Verpflichtung zu Hilfe in Seenot
Die Kähne, die Flüchtlinge übers Meer bringen, sind nicht nur überaltert, sondern auch bis auf den letzten Platz gefüllt. Regelmäßig kommt es deshalb zu Unfällen auf hoher See. Viele Passagiere könnten laut UNHCR jedoch gerettet werden, würden vorbeifahrende Fischer- oder Handelsschiffe helfen. Eine zentrale Forderung des UNHCR an Behörden in Italien, Malta und Libyen lautet daher, ihren Verpflichtungen gemäß Völkerrecht und Seerecht nachzukommen und Booten in Seenot beizustehen.
Auf die Hilfe eines anderen Schiffes im stark befahrenen Mittelmeer hatten auch die Flüchtlinge der jüngsten Katastrophe gesetzt: Einer der Passagiere soll eine Decke angezündet haben, um in der Nacht auf sich aufmerksam zu machen. Doch dann brach Feuer aus, in Panik versuchten sich Menschen zu retten, das Boot ging unter.
Weitere Infos:www.diepresse.com/lampedusa
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2013)