Bulgarische Bürger im Kampf gegen ihre „Mafia“

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Seit vier Monaten protestieren in Sofia Menschen gegen die linke Regierung, die dem umstrittenen Politiker und Geschäftsmann Deljan Peewski weiterhin den Rücken freihält.

Wien/Sofia. Auch am gestrigen Abend hallten die Rufe aufgebrachter Demonstranten durch die Innenstadt Sofias. „Mafia!“, „Rücktritt!“ – die Losungen der seit vier Monaten dauernden Proteste sind die gleichen geblieben. Ein Ende des allabendlichen Protestzugs ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Es gibt einen neuen Anlass, der sicherstellt, dass der Ärger auch nach 118 Tagen nicht versiegen wird. Wieder erregt der Politiker Deljan Peewski die Gemüter.

Das bulgarische Verfassungsgericht entschied am Dienstag, dass der Politiker der Partei der türkischen Minderheit DPS sein Abgeordnetenmandat nicht verwirkt hat, obwohl er einen anderen Posten angenommen hatte. Der 33-Jährige sollte Anfang Juni Chef der Sicherheitsbehörde Dans werden, eine Entscheidung, die ein paar Tage später revidiert wurde – zu spät: Die Protestwelle war bereits losgetreten.

Am Dienstagabend entlud sich der Ärger der Demonstranten am Parlamentsgebäude. Eier und Flaschen flogen, die Polizei verhaftete sechs Menschen vorübergehend. Die Opposition sprach von „politischem Druck der Regierungskoalition auf die Justiz“. Die Regierungskoalition aus Sozialisten und der DPS stellte sich hinter Peewski und erklärte, die Beschlüsse der Verfassungsrichter seien einzuhalten.

Einmal mehr ist der umstrittene Politiker zum Kulminationspunkt des Ärgers geworden. Peewski verkörpert für viele die Selbstbedienungsmentalität, die in der bulgarischen Politik herrscht. Er entspricht nicht nur äußerlich dem Stereotyp eines Gierschlundes, da er stark übergewichtig ist. Auch Peewskis bisherige Laufbahn legt nahe, dass sich sein Aufstieg nicht Qualifikation, sondern vor allem Beziehungen verdankt.

Beziehungen als Schmiermittel

Gegen dieses Netzwerk an intransparenten Beziehungen schreien die Hauptstädter an. Auch deshalb, weil sie jeder Bulgare nur zu gut kennt – als Profiteur und als Leidtragender gleichermaßen. Jeder Bürger versucht im Alltag sein persönliches Beziehungsnetzwerk, „wraski“ genannt, einzusetzen. Damit es beim Arzt ein wenig schneller geht. Damit man bessere Chancen auf einen Job hat. Damit das Kind doch noch einen Platz in der Schule erhält. Informelle Beziehungen sind das Schmiermittel in einem Staat, der im Normalbetrieb nicht einwandfrei funktioniert. Es gibt sie auf allen Ebenen. Natürlich verfügen die Mächtigen im Gegensatz zum Durchschnittsbürger über ein Mehr an relevanten Kontakten.

Peewski ist einer jener Vertreter der politischen Klasse, dem zu Last gelegt wird, ohne seine demonstrativ genutzten Beziehungen ein Nichts und Niemand zu sein. Er selbst findet nichts Verwerfliches daran. „Ich bin 33 Jahre alt und habe es geschafft. Ist das ein Verbrechen?“, fragte er vor Kurzem.

Ob Verbrechen mit im Spiel ist, darüber könnten nur die Gerichte entscheiden. Faktum ist, dass Peewski als sehr junger Mann auf Posten gehievt wurde, für die er nicht qualifiziert war. Als 21-jähriger Student ist er Chef des Aufsichtsrats des staatseigenen Hafen Warna. Als 25-Jähriger wird er Vizeminister und hat Verantwortung für die Staatsreserve. Um seine Wahl zum Dans-Chef zu ermöglichen, wurde das Gesetz kurz zuvor abgeändert. Laut offizieller Steuererklärung besitzt er nur einen Opel Omega. Auf den Straßen Sofias wird Peewski aber von einer Kolonne schwarzer Jeeps und Leibwächtern eskortiert. Sein vielleicht wichtigstes Asset ist seine Mutter Irena Krastewa: Diese leitet einen Medienkonzern, der mit seinen Blättern wesentlichen Einfluss auf das Geschick der aktuell Herrschenden nimmt. Die Wochenzeitung „Kapital“, die mit den Protestierenden stark sympathisiert, fragt sich wie viele Bürger, warum die Regierung Peewski nach wie vor verteidigt: „Warum ist dieser Mensch wichtiger als alles und alle?“

Auch wenn Peewski als Abgeordneter weiter Immunität genießt: Sein Karrieremodell ist in Verruf geraten. Noch in der frühen Transformationszeit war ein Schicksal wie seines nicht ungewöhnlich. Vermögen aus ungeklärtem Ursprung, Emporkommen aus dem kriminellen Milieu waren die typischen Erkennungsmerkmale eines „mutra“, so die Bezeichnung für das soziale Hybrid eines Businessman-Gauners, zu gleichen Teilen mit Muskeln und Fett bepackt. Für viele Männer waren diese Typen Vorbilder, für viele Frauen tolle Hechte.

Doch die Werte der Gesellschaft verändern sich: Schmuddelig ist jetzt nicht mehr sexy. Eine gebildete urbane Schicht, oft auslandserfahren, ist nicht mehr bereit, diese nunmehr als mafiös betitelten Praktiken hinzunehmen. Auch wenn die Regierung den Skandal um Peewski weiter erfolgreich aussitzen sollte: Als Verteidigerin dieses Politikmodells hat sie sich schon längst diskreditiert.

AUF EINEN BLICK

Seit 118 Tagen demonstrieren in Sofia Bürger gegen die Regierung aus Sozialisten und der Partei für Rechte und Freiheiten (DPS). Über den Sommer sank die Zahl der Teilnehmer, doch seit September gewinnt die Bewegung erneut an Fahrt. Als dem Politiker Deljan Peewski (dessen Ernennung zum Geheimdienstchef Initialzündung der Proteste war) am Dienstag die Rückkehr ins Parlament gestattet wurde, kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2013)

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