Argentinien: Kirchner mobilisiert aus dem Krankenbett

ARGENTINA FERNANDEZ DE KIRCHNER
ARGENTINA FERNANDEZ DE KIRCHNEREPA
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Nach einer Hirnblutung erhöhen sich für Präsidentin Cristina Kirchner und ihre angeschlagene Partei die Sympathiewerte. Die rekonvaleszente Staatschefin fällt im Wahlkampf aus.

Buenos Aires. Alles halb so schlimm. Ungefähr das dürfen die Argentinier den knappen medizinischen Kommuniqués entnehmen, die der Sprecher der Präsidentschaft immer zur Mittagszeit vor dem Spital der Fundación Favaloro im Zentrum von Buenos Aires vorträgt: „Der Zustand der Präsidentin der Nation, Dr. Cristina Fernández de Kirchner, entwickelt sich positiv und ohne Komplikationen. Alle vitalen Parameter sind im Normalbereich.“ Am Tag, nachdem Neurochirurgen den Bluterguss unter der Schädeldecke der Staatschefin via Drainage absaugen konnten, habe die Patientin wieder mit der Nahrungsaufnahme begonnen: Kürbis-püree und Bratäpfel. Und, essenziell, sie sei bester Stimmung.

Das erleichtert jene hunderten Getreuen, die vor dem Nebeneingang des Spitals campieren, seitdem Kirchner am Sonntag stationär aufgenommen wurde. Sie haben eine Solidaritätswache eingerichtet mit Plakaten, auf denen, neben dem Foto der Mandatarin, zu lesen ist: „Cristina – die Kraft des Volkes“. Diese ist vorerst noch beschränkt, denn die Rekonvaleszenz nach einem solchen Eingriff erfordert, nach Aussagen der dieser Tage in allen Kanälen auftretenden Mediziner, 30 bis 45 Tage Ruhe. Keine 18-Stunden-Tage. Keine Flüge. Keine Wahlkampfauftritte. Und das mitten im Wahlkampf.

Auf Tour für die Partei

Am 27. Oktober wählen die Argentinier Abgeordnete und Senatoren, in den Vorwahlen am 11. August verpassten sie Kirchners Siegesfront eine herbe Niederlage. In nur zwei Jahren hat die Regierung die Hälfte ihrer Wähler verloren. Eine Zweidrittelmehrheit ist außer Reichweite und damit auch die Möglichkeit, die Verfassung auf eine Wiederwahl Cristina Kirchners hin umzuschreiben.

Damit das Ergebnis am 27. Oktober nicht noch schlimmer ausfalle als bei den Vorwahlen, hat die Präsidentin neben ihrer Regierungsagenda zuletzt ausgiebig Wahlkampf betrieben. Ein TV-Sender hat errechnet, dass Kirchner seit August mehr als 65.000 Flugkilometer zurückgelegt hat, was deshalb bemerkenswert ist, weil sie sich am Tag nach der Vorwahlschlappe offenbar jene Kopfverletzung zugezogen hatte, die das nun entfernte Hämatom verursachte.

Was damals passierte, wurde bislang ebenso wenig kommuniziert wie die Herzrhythmusstörungen, die vorigen Samstag der eigentliche Anlass für die Einweisung der Präsidentin ins kardiologische Zentrum waren. Dort fanden die Ärzte das Blutgerinnsel im Kopf.

Die wirre Informationspolitik schreckte die zu hysterischen Reaktionen neigende politische Szenerie in Buenos Aires auf. Denn tout Buenos Aires weiß, dass im Staate Kirchner nur eine Person bestimmt. Seit Jahren entspringt sämtliche politische Initiative dem engsten Zirkel der Präsidentin – Parlament, Partei und selbst Minister sind zu ausführenden Organen des präsidialen Willens degeneriert. Nun schreiben die Kommentatoren viel von den physischen Limits eines derartigen Regierungsstils, und sie stellen die bange Frage: „Wer regiert uns jetzt?“

Vize als Wählerschreck

Rein rechtlich wäre die Antwort klar: der Vizepräsident. Wie in den USA ist in Argentinien der Stellvertreter eine Art politischer Ersatztorwart, weitgehend verurteilt zum Zusehen. Kein anderer Spitzenpolitiker ist so unbeliebt wie Vizepräsident Amado Boudou, der seit Montag formell die Geschäfte führt. Die Kirchner-Gegner stören sich an den 20 Ermittlungsverfahren gegen den langhaarigen Motorradfan und Stromgitarrenspieler. Die Kirchner-Fans verübeln ihm seine politischen Anfänge in einer liberalen Partei. Die Nominierung des vormaligen Wirtschaftsministers war ein Alleingang der Präsidentin. Boudous wichtigste Funktion bestand bislang darin, Kirchner auf allen unwichtigen Terminen im Ausland zu vertreten.

Kurz nach der OP seiner Chefin sprach Boudou in der Provinz Córdoba den Satz: „Cristina ist ihr Land wichtiger als ihr eigenes Leben!“ Weil niemand dem Vize so viel Peronisten-Schmalz abkaufen wollte, luden ihn die Granden der Kirchner-Partei prompt von weiteren Wahlkampfauftritten aus. Der Mann, der formell das Land leitet, ist ein Wählerschreck.

Berater ziehen die Fäden

Tatsächlich hat die Präsidentin nie um Befreiung von ihrer Amtsgewalt angesucht. Ihre wahren Vertreter sind wohl der Rechtsberater der Präsidentschaft, Carlos Zanini, der das Paar Kirchner seit deren patagonischen Anfängen stets begleitete, und der Präsidentensohn Máximo. Der dritte Kirchner in dieser dynastischen Demokratie ist übrigens nach der Aussage der Präsidentin in einem kürzlich ausgestrahlten TV-Interview der einzige Mensch, dem sie traut. Aber kaum kamen die ersten positiven Kommuniqués aus der Klinik, begannen die Spekulationen über eine baldige Rückkehr der Präsidentin.

Darauf hofft vor allem die Opposition. Denn Attacken auf eine kranke Gegnerin können leicht nach hinten losgehen. Deshalb ist seit dem Wochenende der Wahlkampf der Kirchner-Herausforderer auffallend zahm geworden. In ersten Meinungsumfragen deutet sich tatsächlich ein Sympathieplus für die Rekonvaleszente an. Schon nach dem Tod von Néstor Kirchner 2010 und ihrer Schilddrüsen-Operation Anfang 2012 erhöhten sich Kirchners Popularitätswerte.

Willkommene Zwangspause?

Doch wird dieser Eingriff für ein Comeback via Krankenbett ausreichen? Zumindest wird die Zwangspause der Präsidentin wohl ersparen, eine Niederlage am 27. Oktober öffentlich eingestehen zu müssen.

HINTERGRUND

Parlamentswahlen. Argentinien wählt am 27. Oktober neue Abgeordnete und Senatoren. Der peronistischen Regierungskoalition Siegesfront unter der Führung Cristina Kirchners wurde eine Wahlschlappe beschieden. Bei den Vorwahlen am 11. August erreichten sie nur 26,3%. 2011 war Kirchner noch mit 54,1% wiedergewählt worden – der Empathie-Effekt nach dem unerwarteten Tod ihres Ehemannes und Vorgängers Nestor Kirchner im Jahr 2010 hatte damals zu ihrem klaren Sieg beigetragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2013)

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