Amato: „Ich bin mit diesem Europa unglücklich“

Italiens Ex-Premier Amato
Italiens Ex-Premier Amato (c) FABRY Clemens
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Italiens Ex-Premier und einer der Architekten der Europäischen Union sieht als einzigen Ausweg aus der Krise „mehr Europa“. Den Euro könne man nur durch eine von Brüssel gesteuerte EU-Haushaltspolitik retten.

Wien. „Wer mit Europa unzufrieden ist, hat recht. Ich selbst bin nicht damit glücklich.“ Und das sagt immerhin Giuliano Amato, einer der „Architekten“ der heutigen Europäischen Union: Eine vom italienischen Ex-Politiker geleitete Gruppe verfasste 2006 den EU-Grundlagenvertrag, den Lissabon-Vertrag. Amato integrierte darin wesentliche Elemente der davor gescheiterten EU-Verfassung – die der heute 75-Jährige ebenfalls maßgeblich mitgestaltet hatte. Doch das tief gespaltene, von Nord-Süd-Konflikten sowie nationalen Egoismen dominierte und wirtschaftlich dauerkriselnde Europa entspricht so gar nicht den Vorstellungen des Juristen: „Es ist, als ob wir in einem Flaschenhals feststecken würden. Und im Flaschenhals erstickt man“, beschwert sich Amato im Gespräch mit der „Presse“.

Wut auf den nordeuropäischen Geizhals

Für die EU-Malaise gibt es laut Amato mehrere Gründe: Das pazifistische Argument der Nachkriegszeit, ein vereintes Europa verhindere Kriege, überzeuge die junge Generation nicht mehr. Auch habe seit der Wirtschaftskrise die Behauptung, ein gemeinsames Europa bringe mehr Wohlstand, an Überzeugungskraft verloren. Sowohl im wohlhabenderen Norden als auch im kriselnden Süden der Eurozone seien immer mehr Menschen der Ansicht, Europa nehme seinen Bürgern „etwas weg. Da dominiert im Norden die Angst, zu viel für andere – und deren Fehler – zahlen zu müssen. Im Süden hingegen ist man auf den Geizhals wütend, der verlangt, dass man verhungert“.

Als einen der „Hauptschuldigen“ für die Europa-Krise sieht Amato aber den EU-Vertrag von Maastricht (1992): Damals wurde zwar die Grundlage für den Euro geschaffen, doch eine auf EU-Ebene koordinierte Wirtschafts-, Finanz- oder Steuerpolitik wollte man nicht ins Leben rufen. Der Euro war somit von Anfang an von den Nationalbudgets abhängig: „Es wurde jedem einzelnen Eurostaat überlassen, sich um dieses gemeinsame Gut zu kümmern. Ökonomen hatten gewarnt, dass das nicht funktionieren könne. Die Wirtschaftskrise gab ihnen recht.“

Auf die Finanzkrise habe Europa bisher nur mit Einsparungen geantwortet – ohne Instrumente anzubieten, um die Auswirkungen der Austeritätspolitik (etwa durch Stimulation der Wirtschaft) zu kompensieren. Nicht viel hält Amato von den in Medien kolportierten Plänen der deutschen Kanzlerin Merkel, die EU-Haushaltsdisziplin weiter zu verschärfen. Der Ex-Premier, der sich in den 1990er-Jahren selbst mit seiner Sparpolitik unbeliebt machte, betont: „Ich befürworte eine rigide Budgetdisziplin, ich weiß, dass sie nötig ist. Aber sie genügt nicht.“ Merkels Vorschlag sei „more of the same“, meint er und zitiert dabei ein italienisches Sprichwort: „Was bringt es dem Esel zu lernen, wie man isst, wenn er am Tag danach stirbt?“

Dass die Kanzlerin allerdings erwäge, der EU-Kommission mehr Kompetenzen bei der EU-Haushaltspolitik zuzuschreiben, gehe in die richtige Richtung. Denn für Amato gibt es nur einen Ausweg: „Wir müssen uns bewegen – und zwar nach vorne, in Richtung mehr Europa.“ Das sei die Lektion der – oft verdrängten – Fehler der Maastricht-Ära: „Damals beschloss man, die nationale Souveränität zu schützen und die Stabilität des Euro von den einzelnen nationalen Politiken abhängig zu machen. Heute zahlen wir die Rechnung dafür.“

Den Ausweg aus der Krise sieht der italienische Jurist in einem gewagten Integrationsschritt: „Wir brauchen eine gemeinsame EU-Budgetpolitik, von der auch die gemeinsame Währung abhängig ist.“ Für Amato könne die USA als Vorbild für die Zukunft des Euro dienen: In den USA seien die einzelnen Bundesstaaten für ihre Haushalte zuständig. Ist ein Staat zahlungsunfähig, dann bekomme er keinen Cent von den anderen Staaten. Dafür investiert Washington in die Wirtschaft, um diese wieder anzukurbeln. Der Jurist ist der Meinung, dass der Euro dann „viel stärker werden würde und die einzelnen Staaten freier – auch zu scheitern“.

Verzicht auf nationale Souveränität

Eine gemeinsame europäische Währung, die nicht mehr an nationale Budgets gekoppelt wäre, erfordert freilich einen radikalen Verzicht nationaler Souveränitäten. Für Amato muss dieser Integrationsprozess aber langsam, schrittweise erfolgen. „Zunächst müssen wir die Bankenunion vorantreiben, später uns überlegen, ob man die Verträge ändern kann.“ Parallel zur Integration der Eurozone wünscht er sich aber auch in anderen Bereichen „mehr Europa“ – etwa bei der Verteidigungs- oder Einwanderungspolitik.

Doch zuerst müsse man das Vertrauen in Europa und unter den Europäern wieder herstellen. „Und die Menschen überzeugen, dass mehr Europa die Wirtschaft stärkt.“ Wie das in seiner Heimat Italien, dem größten und zunehmend EU-skeptischen Eurokrisenland, möglich wäre, will Amato nicht sagen. Als Richter des Verfassungsgerichtshofes will er sich zur kriselnden Politik in Rom nicht äußern: „Ich habe mich zurückgezogen, so ähnlich wie ein Mönch“, scherzt er.

ZUR PERSON

Giuliano Amato war Vizepräsident des Europäischen Konvents, der die EU-Verfassung erarbeitete. Nach dem Scheitern der Verfassung leitete er die Amato-Gruppe, die den Vertrag von Lissabon bearbeitete. Er war zwei Mal italienischer Premier sowie Finanz- und Innenminister. Heute ist er Richter des Verfassungsgerichtshofs.

Terminhinweis: Giuliano Amato wird in Wien am 24.Oktober um 18.30Uhr am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) zum Thema „Wohin bewegt sich Europa?“ referieren. Moderation: Ivan Krastev, IWM, und Christian Ultsch, Ressortleiter Außenpolitik „Die Presse“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2013)

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