Lauschangriff bringt Deutsche gegen die USA auf

(c) EPA (JULIEN WARNAND)
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Dass die NSA offenbar Merkels Handy anzapfte, empört Politiker aller Lager. Der US-Botschafter wurde einbestellt. Aber auch die Kanzlerin erntet Kritik.

Berlin. Im Juli konnte Angela Merkel noch entspannt lächeln, wenn man sie auf abenteuerliche Gerüchte ansprach: „Mir selbst ist nichts bekannt, dass ich abgehört wurde“, sagte die deutsche Kanzlerin im Fernseh-Sommerinterview – und gab durch ihre Mimik zu erkennen, dass sie solch übertriebene Sorgen von Journalisten eher amüsierten.

Sicher, schlimm wäre das schon: Immerhin hat Merkel das Mobiltelefon zur Schaltzentrale ihres Regierens gemacht hat. Ständig sieht man sie beim beidhändigen SMS-Tippen, schon manch wichtige Entscheidung hat sie so getroffen. Freunde und Gegner zucken zusammen, wenn am Ende einer Kurznachricht „am“ steht, ihre bescheiden klein gehaltenen Initialen. Aber an mutmaßliche Terroristen schreibt sie ja nicht. Also was sollte sie vom Überwachungsfuror der Amerikaner schon zu befürchten haben?

Mit der Gelassenheit ist es seit Mittwochabend vorbei. „Völlig inakzeptabel“ sei es, wenn der US-Geheimdienst das Handy Merkels überwache und anzapfe, ein „gravierender Vertrauensbruch“, der „unmissverständlich missbilligt“ werden müsse. Das bekam US-Präsident Obama von einer angeblich ruhigen, aber sehr deutlichen und ernsten Merkel am Telefon zu hören.

Kurz darauf verkündete Regierungssprecher Steffen Seibert im Auftrag seiner Chefin den bisher wohl härtesten diplomatischen Protest gegen die Ausspähpraktiken der NSA. Am Donnerstag bestellte Außenminister Guido Westerwelle den US-Botschafter in Berlin ein, um ihm die deutsche Position „deutlich“ darzulegen. Das parlamentarische Kontrollgremium trommelte eilig zu einer Sondersitzung zusammen. Über alle politischen Lager hinweg ist die Empörung groß. Die CDU spricht von einem „ungeheuerlichen Vorgang“, für die SPD und die FDP sprengt der Skandal „alle Dimensionen“, für die Linken-Chefin Katja Kipping geht es um den „schwersten anzunehmenden Vertrauensbruch unter Freunden“.

Der "Guardian" berichtet aus Dokumenten von Edward Snowden, dass 35 Spitzenpolitiker von der NSA ausspioniert werden sollen.

Schwaches Dementi aus Washington

Schon mehren sich die Stimmen, man müsse das Freihandelsabkommen stoppen: Wie soll man denn verhandeln, wenn die andere Seite schon längst ausspioniert hat, was man wie erreichen will? Das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA scheint deutlich beschädigt. Und die Datenaffäre, um die es zuletzt still geworden war, drängt mit voller Wucht zurück auf die politische Bühne.

Freilich steht immer das Wörtchen „wenn“ hinter dem Protest: „Wenn die Anschuldigungen stimmen ...“ Doch davon kann man offenbar getrost ausgehen. Merkel redete die Datenaffäre über viele Monate hinweg klein. Stets hatten die guten transatlantischen Beziehungen Vorrang. Wenn nun ausgerechnet sie mit so scharfen Formulierungen die Öffentlichkeit informiert, müssen offenbar „handfeste Belege“ aus einer „sehr seriösen Quelle“ vorliegen, wie auch CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach vermutet.

Der „Spiegel“ hatte in Unterlagen des Geheimdienst-Whistleblowers Edward Snowden die Nummer des Nokia-Handys gefunden, das Merkel von 2009 bis Juli 2013 nutzte. Die Reaktion aus Washington war alles andere als ein überzeugendes Dementi. Obamas sonst so routinierter Sprecher Jay Carney las vorsichtig vom Blatt, dass die USA Merkels Kommunikation „nicht überwachen und nicht überwachen werden“ – von dem, was früher geschehen ist, womöglich bis zum Abend davor, kein Wort. Eine Sprecherin des Sicherheitsrates wollte auch auf Rückfrage nicht sagen, ob Obamas Zusicherung auch für die Vergangenheit galt.

Technisch ist das Aushorchen des Diensthandys eines Regierungschefs etwas anderes als das massenweise Speichern von Telefongesprächen oder Sammeln von Internetdaten. Natürlich hat Merkel eine abgesicherte Verbindung, der Code wurde also offenbar ganz gezielt geknackt. „So geht es gar nicht“, findet auch Thomas de Maizière. Der Verteidigungsminister gesteht ein: „Ich rechne seit Jahren damit, dass mein Handy abgehört wird. Allerdings habe ich nicht mit den Amerikanern gerechnet.“

Union hat Datenaffäre verharmlost

In die Kritik gerät nun aber auch die Regierung. Zu offensichtlich haben Merkels Minister im Wahlkampf versucht, die Datenaffäre zu verharmlosen. Alles nicht so schlimm, lautete der Tenor, immerhin müsse der deutsche Geheimdienst BND ja dankbar sein, dass er dank der Informationen der US-Kollegen Anschläge auf deutschem Boden vereiteln konnte. Innenminister Hans-Peter Friedrich philosophierte gar über ein „Supergrundrecht auf Sicherheit“, das wichtiger sei als alle Datenschutz-Bedenken.

Von seiner Aufklärungsreise nach Washington kehrte der CSU-Politiker mit leeren Händen zurück. Bis heute ist der Fragenkatalog nicht beantwortet. Als die Amerikaner eine Blanko-Zusicherung lieferten, sie hätten auf deutschem Boden keine Grundrechte verletzt, frohlockte Friedrich: „Alle Verdächtigungen“ hätten sich „in Luft aufgelöst“. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla erklärte die Debatte gleichsam ex cathedra für beendet. Merkel stimmte ihm zu.

Ihre plötzliche Empörung führt deshalb nicht nur zu einem nationalen Schulterschluss. Viele werfen der Kanzlerin nun vor, sie habe die Sorgen der einfachen Bürger zu lang ignoriert und erst dann zum Telefonhörer gegriffen, als sie höchstpersönlich betroffen war – eine „Frechheit“, wie der neue Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter meint. Merkel muss nun also die ganze Affäre neu aufrollen lassen, um glaubwürdig zu bleiben. Dadurch gewinnt die Debatte darüber, wie die US-Geheimdienste den Datenschutz mit Füßen treten, auch international eine neue, überraschende Dynamik. Merkel hat mit ihrem Handy einmal mehr Politik und deren Geschichte geschrieben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2013)

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