USA: Warum New York links wählte

 Bill de Blasio, New York, Bürgermeister
Bill de Blasio, New York, Bürgermeister(c) REUTERS (CARLO ALLEGRI)
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Erstmals seit 20 Jahren hat Amerikas größte Stadt wieder einen linksliberalen Bürgermeister. Bill de Blasio wird es allerdings schwer haben, sein Versprechen vom sozialen Ausgleich wahr zu machen.

Washington. „Take the A-Train“ – wer verstehen will, wieso die New Yorker nach zwei Jahrzehnten wieder einen linken Bürgermeister gewählt haben, sollte dem Rat der Jazzlegende Duke Ellington folgen und mit dem A-Train fahren. An der vierten Haltestelle dieser New Yorker U-Bahn-Linie, „Beach 44 Street“ in Queens, betrug das jährliche Medianeinkommen der Anwohner im Jahr 2011 genau 18.370 Dollar (13.614 Euro). Das lag um knapp 200 Dollar unter dem Wert, ab dem eine dreiköpfige Familie in den USA offiziell als arm gilt.

18 Stationen später, nachdem der Zug Brooklyn durchquert, durch den Tunnel unter dem East River gerumpelt und in Manhattan angekommen ist, sieht die Welt schon anders aus. Wer rund um die Chambers Street im Finanzviertel logiert, hatte 2011 ein Medianeinkommen von 205.192 Dollar.

Ähnlich weit liegen nicht nur die Einkommen, sondern auch die Lebenswelten der New Yorker auseinander. Während man sich in Manhattans Trendvierteln wie SoHo, Chelsea oder Greenwich Village bisweilen wie am Drehort einer Folge von „Sex and the City“ vorkommt, hat die Zahl der Obdachlosen heuer mit mehr als 51.000 einen Rekordwert erreicht. Mehr als jeder fünfte New Yorker lebt unter der Armutsgrenze. Genau so viele Bürger sind armutsgefährdet.

Für viele New Yorker ist es nicht mehr erschwinglich, in ihrer Stadt zu leben. Das Wohnen ist zu teuer, die öffentlichen Schulen sind überlastet, und vom Boom der Finanz-, Dienstleistungs- und Kreativbranche haben zehntausende New Yorker nichts, weil sie schlecht ausgebildet sind.

All das will der 52-jährige Bill de Blasio als Bürgermeister von mehr als acht Millionen New Yorkern ändern. „Die Menschen dieser Stadt haben einen fortschrittlichen Pfad gewählt, und gemeinsam werden wir ihn fortsetzen“, versprach de Blasio seinen begeisterten Anhängern am Dienstagabend. Der neue Bürgermeister will für zumindest fünf Jahre die lokale Einkommensteuer für all jene erhöhen, die mehr als 500.000 Dollar pro Jahr verdienen. Damit will er die Schulen und Kindergärten ebenso stärken wie 200.000 Sozialwohnungen bauen lassen. Nach zwanzig Jahren unter den konservativen, der Wall Street verbundenen Bürgermeistern Rudy Giuliani und Michael Bloomberg schicken die New Yorker wieder einen Mann aus dem Volk in die City Hall – so, wie es der legendäre und bis heute hoch populäre Ed Koch in den 1970er- und 1980er-Jahren gewesen ist. Mit 73 zu 24 Prozent besiegte de Blasio seinen republikanischen Konkurrenten Joseph Lhota; er hatte dreimal mehr Spenden als Lhota gesammelt.

Schillernde Vita eines Berufspolitikers

De Blasio hatte eine schwere Kindheit; der Vater war Alkoholiker und beging Selbstmord. Mit der Annahme des italienischen Mädchennamens seiner Mutter wandte sich der am 8.Mai 1961 als Warren Wilhelm jr. Geborene einer fremden Kultur zu. Schon als Schüler war er politisch aktiv. Die Politik der US-Regierung in Lateinamerika bewog in später dazu, an der Columbia University internationale Beziehungen zu studieren und sich in Nicaragua für die marxistischen Sandinisten zu begeistern. Deren Radikalität war ihm jedoch bald zuwider; als Sozialarbeiter und Kampagnenmanager fand er in New York seine Berufung – und in der Feministin Chirlane McCray, die sich in jüngeren Jahren als Lesbe bezeichnet hatte, die Frau fürs Leben. Mit ihren Kinder Dante und Chiara bemühen sich die de Blasios um das Bild der modernen amerikanischen Vorzeigefamilie.

Wie viel der neue Bürgermeister allerdings wirklich bewegen kann, ist fraglich. Nur rund zehn Prozent des 70Milliarden Dollar umfassenden Stadtbudgets sind frei verplanbar; der Rest sind Gehälter, Pensionen und sonstige vertraglich gebundene Zahlungen. Und gleich zu Beginn muss de Blasio ein haariges Problem lösen: die Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften der Polizei, Feuerwehr und Müllabfuhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2013)

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