Ein seltenes Element unter Mordverdacht

Polonium. Die Schweizer Wissenschaftler, die Arafats Leichnam und persönliche Sachen untersuchten, fanden enorm erhöhte Werte an Polonium, einem giftigen radioaktiven Element. Dennoch wollen sie sich nicht festlegen.

Lausanne/Wien. Die Ärzte und Wissenschaftler der Uni-Klinik Lausanne wollten sich in ihrem Gutachten zum Tod Jassir Arafats nicht klar festlegen: Ihre Resultate, so halten sie in dem englischen Text fest, würden die Annahme, Arafat sei im November 2004 durch das radioaktive Element Polonium getötet worden, „moderat“ untermauern.

Das benutzte Wort „moderately“ kann auch mit „einigermaßen“ übersetzt werden, aber nicht mit „sicher“, und die Schweizer wollten sich auch nicht festlegen: „Man kann nicht sagen, dass Polonium die Todesursache war“, sagte François Bochud, Direktor des Instituts für Radiologie an der Uni-Klinik. „Man kann es aber auch nicht ausschließen.“

Im Gutachten ist aber von stark erhöhten Konzentrationen von Polonium-210 die Rede, die man in Arafats Leiche sowie an persönlichen Objekten gemessen habe: Eine Unterhose mit Urinfleck etwa ergab einen 50fach gegenüber normal erhöhten Poloniumwert. Haare, Knochen, Wirbel, ein Zahn, Stücke des Leichentuchs sowie der Boden unter dem weitgehend skelettierten Toten, der in seinem Grab in Ramallah in vier Meter Tiefe liegt, waren bis zu 18fach belastet.

Ein seltenes Metall ohne viel Nutzen

Polonium (es kommt fast nur als Isotop Polonium-210 vor) ist ein radioaktives Metall, silbrig, etwas dichter als Eisen, hat eine Halbwertszeit von 138 Tagen (im Körper sind es etwa 50, da es bald durch Stuhl und Urin ausgeschieden wird). Es ist extrem selten: Pechblende etwa, ein Mineral aus Uran und Blei, enthält pro 1000 Tonnen etwa 0,03 Gramm, sodass es künstlich erzeugt wird, durch Neutronenbeschuss von Wismut. Auch Anwendungen sind selten, etwa als Neutronenquelle, für Batterien in der Raumfahrt, als Zünder in Atombomben. Jährlich werden etwa 100 Gramm (!) erzeugt, meist in Russland. Marktwert: ca. 290.000 Euro pro Millionstelgramm.

Ein solches Mikrogramm wirkt aber tödlich – falls man es einnimmt, denn 210Po sendet als Alphastrahler Protonen und Neutronen aus, die zwar nicht weit „fliegen“ (einige Zentimeter) und schon einen Mantel nicht durchdringen, die aber, treffen sie Gewebe, rasch schwere Schäden anrichten. Das passt zum Fall Arafat: Wenige Stunden nach einem Essen am 12. Oktober 2004 wurde ihm schlecht; er bekam Durchfall, Schwindel, Blutungen, später wurden Leber und Niere zerstört und die Blutgerinnung so vermindert, dass er einen Monat darauf an inneren Blutungen, auch im Hirn, starb. Ein Krankheitsbild, für das bisher keine Ursache zu finden war, aber zu einer Poloniumvergiftung passt.

Die These der Schweizer stützen auch stark erhöhte Werte an den Bleiisotopen 206 und 210 im Grab: Das stabile Pb-206 entsteht, wenn Po-210 zerfällt. Und das seltene Pb-210 (Halbwertszeit etwa 22 Jahre) ist laut den Forschern eine typische Verunreinigung in kommerziellen Polonium-Quellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2013)

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