Scheidender Botschafter: "Golan-Abzug persönliche Enttäuschung"

Aviv Shir-On beim Abschiedsinterview in der israelischen Botschaft in Wien. Er kehrte nach Ende seiner vierjährigen Amtszeit inzwischen nach Israel zurück.
Aviv Shir-On beim Abschiedsinterview in der israelischen Botschaft in Wien. Er kehrte nach Ende seiner vierjährigen Amtszeit inzwischen nach Israel zurück.Die Presse
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Israels scheidender Botschafter Aviv Shir-On erwartet mehr Unterstützung von Österreich und weniger "unproportionale" Kritik von Heinz Fischer. Und er schildert, wie sich die FPÖ an Israel annähern wollte.

Sie haben sich in den vergangenen vier Jahren ziemlich oft „enttäuscht" gezeigt von Österreich. Sind Sie denn mit so vielen Illusionen nach Österreich gekommen?

Aviv Shir-On: Mit Illusionen hat das nichts zu tun, eher schon mit meiner Erfahrung als Diplomat in Deutschland. Deutschland und Österreich sind zwei Länder, mit denen wir besondere Beziehungen zu haben glauben. Wegen der jüngsten Vergangenheit, die zwar nur ein Teil der Geschichte ist, aber immer noch einen Schatten wirft.

Wie unterscheiden sich Israels Beziehungen zu Deutschland und zu Österreich?

In Deutschland spielen diese Sonderbeziehungen eine größere Rolle - im täglichen Leben, in der Außenpolitik, in Entscheidungen, die Israel und den Nahen Osten betreffen.


Und worin liegt der Unterschied begründet?

Das hat mit der Tatsache zu tun, dass sich Österreich später seiner Geschichte gestellt und in den Spiegel geschaut hat. Österreich hat lange die Opfertheorie aufrechterhalten. Ich habe immer gesagt, dass es falsch und gefährlich ist, wenn wir die Beziehungen mit Österreich nur im Blick auf die Shoa gestalten. Uns verbindet viel mehr, kulturell, historisch. Aber vergessen können wir die sieben Jahre auch nicht.


Glauben Sie, dass Deutschland ein soliderer, treuerer und besserer Freund ist für Israel?

Das kann man schwer mathematisch bestimmen. Bei Abstimmungen in der UNO und anderen internationalen Gremien verhält sich Deutschland positiver gegenüber Israel als Österreich. Ich erwarte, ich möchte, ich hoffe, dass Österreich, das historisch eng mit uns verbunden ist, Israel mehr unterstützt, wenn es in Schwierigkeiten gerät.


Wann hätte Österreich mehr Unterstützung zeigen können?

Zum Beispiel bei der Abstimmung in der UNO über die Aufwertung der Palästinenser zum Nichtmitgliedstaat oder auch bei der Aufnahme der Palästinenser in die Unesco.


Aber diese Abstimmungen waren ja per se nicht gegen Israel gerichtet.

Das stimmt. Nur hat man dabei nicht über den nächsten Tag hinausgesehen. Wenn Frieden mit den Palästinensern erreicht wird und dadurch ein unabhängiger palästinensischer Staat entsteht, werden wir die Ersten sein, die einen solchen Staat unterstützen werden. Die Palästinenser versuchen die ganze Zeit, diese Aufwertung zum Staat zu erreichen, ohne mit Israel zu verhandeln. Es gäbe dann keinen Anreiz mehr, Konzessionen zu machen.

Offensichtlich wächst die internationale Ungeduld mit der israelischen Regierung. Spüren Sie das als Botschafter?

Ja, ich spüre das. Es gibt auch Kriegsmüdigkeit in Israel. Aber ich bin fest davon überzeugt, als Israeli, nicht unbedingt als Diplomat, dass wir in diesem Konflikt eindeutig recht haben. Denn: Wenn uns 1948 alle in der UNO beim Teilungsplan unterstützt haben, müssen sie es heute genauso tun. Nichts hat sich geändert, außer dass wir nicht mehr so schwach und arm sind wie damals. Alle Kriege, die uns von 1948 bis heute aufgezwungen wurden, konnten wir gewinnen. Sonst gäbe es den Staat Israel nicht mehr.


Es besteht ein wesentlicher Unterschied zu 1948: Israel hält Gebiete besetzt und errichtet dort Siedlungen.

Das stimmt, aber es gab keinen Frieden vor den Siedlungen, und es wird auch keinen Frieden geben, wenn wir alle Siedlungen abbauen. Die Siedlungen sind nur ein Ergebnis der Situation, in die Israel hineingezwungen wurde. Den Sechs-Tage-Krieg haben wir nicht verursacht.

Bundespräsident Fischer hat unlängst vor der Generalversammlung Israels Siedlungstätigkeit beanstandet. Es gab dann von jüdischer Seite Kritik, seine Position sei nicht ausgewogen. Teilen Sie diese Kritik?

Für die österreichische Regierung sind die Siedlungen ein großes Problem. Das müssen wir akzeptieren. Doch die Art und Weise, wie der Bundespräsident argumentiert hat, ist unproportional. Beim Neujahrsempfang für Diplomaten hat er einen Satz zum Iran und zu Syrien gesagt, aber einen ganzen Paragrafen zu den Siedlungen. Das ist unverhältnismäßig.


War der Abzug der österreichischen Blauhelme vom Golan, vom Grenzgebiet zwischen Syrien und Israel, eine Zäsur für Sie?

Das war für mich eine diplomatische und auch persönliche Enttäuschung.

Warum?

''Presse''-Außenpolitikchef Christian Ultsch (links) und Aviv Shir-On
''Presse''-Außenpolitikchef Christian Ultsch (links) und Aviv Shir-On Die Presse

Ich habe als Panzeroffizier auf den Golanhöhen gekämpft. Das ist meine Erinnerung von damals (hält eine Hand hoch, an der Fingerglieder fehlen; Anm.). Ich weiß, wie wichtig der Golan für unsere Sicherheit ist. 19 Jahre lang (von 1948 bis 1967; Anm.) haben die Syrer uns von oben angeschossen. Ich weiß, wie wichtig es für Israel und den gesamten Nahen Osten ist, dass diese Grenze viele Jahre ruhig geblieben ist, trotz vieler Krisen und Kriege in der Region. Österreich hat einen essenziellen, professionellen Beitrag geleistet.


Hat Österreich dadurch seine außenpolitische Glaubwürdigkeit in der Region geschwächt?

Es gibt mildernde Umstände: Auch andere haben ihre Truppen abgezogen, Kroaten und Japaner. Und es stimmt: Die Lage in Syrien hat sich durch den Bürgerkrieg zugespitzt. Doch ein Abzug schadet der Grundidee und der Glaubwürdigkeit friedenserhaltender UN-Missionen, die dafür da sind, Konfliktparteien auseinanderzuhalten und zu beruhigen.


Aber die UNO hat es ja geschafft, die Mission aufrechtzuerhalten.

Ja, weil andere statt den Österreichern gekommen sind. Das hätte auch anders ausgehen können. Natürlich kann sich ein Truppensteller zurückziehen, doch dann sollte er der UNO sechs Monate oder ein Jahr vorher die Möglichkeit geben, Ersatz zu organisieren. Aber einfach auf Wiedersehen zu sagen schadet der UNO. Außenminister Spindelegger hat unserer Regierung in Jerusalem mitgeteilt, dass vorerst nichts geschehen und man erst mit der UNO reden wird. Und dann entschied sich die österreichische Regierung kurzfristig, die Blauhelme vom Golan abzuziehen.


Wie würde Israel jetzt reagieren, würde Österreich Blauhelme für das Westjordanland vorschlagen?

Österreich blieb bei der Unifil im Südlibanon. Das ist gut. Und ich hoffe, dass die Österreicher sich in Zukunft an Friedensmissionen beteiligen werden. Die Leistung des Bundesheers ist einwandfrei. Aber: Man könnte keinem Entscheidungsträger vorwerfen, wenn er sich jetzt nicht mehr so sicher ist, ob die Österreicher nicht davonlaufen.


Wie bewerten Sie die derzeitige diplomatische Offensive Österreichs im Iran?

Momentan gibt es weitere Versuche, den Konflikt mit dem Iran auf diplomatischem Wege zu lösen. Israel ist immer für eine friedliche Beilegung von Auseinandersetzungen. Man darf aber nicht vergessen, dass die Uhren im Nahen Osten anders gehen, daher ist es erforderlich, dass Taten gesetzt werden und man sich nicht nur auf Lächeln und Versprechungen verlässt. Für Israel ist dies in Bezug auf den Iran besonders wichtig, weil wir die schlimme Erfahrung bereits gemacht haben und weil es um unsere Existenz geht.

Israel hält seinen diplomatischen Bann über die FPÖ aufrecht. Ich weiß, dass es Bemühungen seitens der FPÖ gab, die Beziehungen zu normalisieren. Warum hat das nicht geklappt?

Es gab noch vor meiner Zeit einen Versuch, das Ganze halboffiziell in die Wege zu leiten.


Es heißt, Strache sollte einen Brief schreiben. Was sollte er darin festhalten?

Er sollte seine Position zur Shoa klarstellen und sich vom Nazi-Erbe distanzieren. Das wollten wir schriftlich haben. Man sagte uns, es werde ein solches Schreiben einlangen. Am Ende schickte Strache einen Brief. Darin wünschte er Israel alles Gute zum 60. Unabhängigkeitstag 2008. Sonst stand nichts drin. Das bedeutete ein Scheitern dieser Bemühungen.s


Aber eine Normalisierung der Beziehungen wäre möglich?

Arafat war unser Erzfeind. Dann hat er unsere Bedingungen erfüllt, dem Terror abgeschworen und den Staat Israel akzeptiert, und er wurde unser Gesprächspartner. Gianfranco Fini (Ex-Chef der Alleanza Nazionale, Anm.) hat so einen Brief, wie wir ihn von Strache wollten, geschrieben - mit allen Punkten, um die wir gebeten hatten. Seitdem gibt es gute Kontakte zwischen Israel und ihm. s


Wir haben viel von Enttäuschungen geredet. Was lief gut in den vergangenen vier Jahren?

Die Beziehungen haben sich ganz klar auch positiv entwickelt. Während meiner Zeit als Botschafter besuchten der Bundeskanzler, der Vizekanzler und viele Bundesminister Israel. Alles, was den Kulturaustausch betrifft, läuft großartig. Und das balanciert die Meinungsunterschiede in der Politik aus, wo, und das möchte ich betonen, Österreich eben auch Positionen der EU zu vertreten hat. Die jüngste positive Entwicklung ist die Rückkehr Israels zum Menschenrechtsrat. Österreich hat sich unermüdlich bemüht, damit diese Rückkehr möglich wird. Ich bin froh, dass ich mit diesem Erfolg nach Hause zurückkehren kann.


An welchen Themen sollten Israel und Österreich weiterarbeiten?

Vor allem beim Jugendaustausch. Es gibt Projekte, aber es könnte viel mehr gemacht werden. Und auch die wirtschaftlichen Beziehungen sollten weiterentwickelt werden. Da haben Österreich und Israel viel mehr Potenzial.

Steckbrief

31. Oktober 1952: Aviv Aharon Shir-On wird als Sohn einer deutschen Holocaust-Überlebenden bei Tel Aviv geboren. 1973 kämpft er im Jom-Kippur-Krieg auf den Golanhöhen. Danach studiert er Internationale Politik.

1978: Shir-On tritt in den diplomatischen Dienst ein, arbeitet in Washington und Bonn. Von 2003 bis 2006 ist er Botschafter in der Schweiz und Liechtenstein, danach als stellvertretender Generaldirektor des Außenamts für Medien zuständig.

Oktober 2009: Shir-On wird Botschafter in Österreich. Vergangene Woche endete seine Amtszeit in Wien. Sein Nachfolger ist Zvi Heifetz, der ehemalige Botschafter in London.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10. November 2013)

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