Afghanistan: Der Narko-Staat am Hindukusch

OPIUM, Afghanistan, Drogenhandel
OPIUM, Afghanistan, Drogenhandel(c) AP (NOOR KHAN)
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Die Anbauflächen für Opium sind noch vor Abzug der Alliierten auf einen Rekordwert gestiegen. Der Drogenhandel übertrifft den in Bolivien und Kolumbien.

Wien/Kabul. Vor den Toren der Hauptstadt Kabul und den Augen von Botschaftern und hochrangigen Militärs zog die Regierung des Hamid Karzai neulich eine große Show für die westlichen Geberländer ab. Tausende Kilo an Opium, Heroin, Morphium und Haschisch gingen – nebst Bier und anderen Alkoholika – in Flammen auf.

Die Vernichtung einer Jahresration an Drogen und der Spirituosen, die den Sicherheitskräften bei Razzien in die Hände geraten waren, sollte die Kooperationsbereitschaft Karzais bei der Ausradierung eines der Grundübel Afghanistans demonstrieren: des Anbaus von Schlafmohn. Mit einem Anteil von bis zu 90Prozent der weltweiten Produktion gilt das Land am Hindukusch als Opiumparadies. Weil Opium Ausgangsbasis für Heroin ist, sagen US-Offizielle sarkastisch: „Afghanistan bringt uns auf vielerlei Weise um.“

Insbesondere in den südlichen Provinzen Helmand und Kandahar, zugleich die Hochburgen der Taliban, wogen die Felder im Frühjahr in flammenden Rot- und Orangetönen. Zuweilen färben sie sich auch in Blutrot: Heuer fielen mehr als 130 afghanische Soldaten dem Feldzug gegen den Drogenanbau zum Opfer.

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Hochblüte für das „flüssige Gold“

Im Frühjahr nämlich ist Erntezeit für das „flüssige Gold“, den zähflüssigen, milchigen Saft. In einem halben Jahr, so viel steht bereits jetzt fest, dürfte die Ernte ziemlich üppig ausfallen. Denn der jüngste Bericht der UNDOC, der in Wien ansässigen Behörde zur Bekämpfung von Drogen und Kriminalität, konstatiert einen Anstieg der Mohnfelder um einen Rekordwert von 36Prozent auf 209.000 Hektar. Dies könnte sich in einer Verdoppelung der Opiumproduktion auf 5500 Tonnen niederschlagen. Im Vorjahr spülte der Opiumexport fast eine Milliarde Dollar nach Afghanistan, rund vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Nach einem zeitweise massiven Rückgang – vor allem durch verschärfte Kontrollen, finanzielle Anreize für Anbaualternativen und eine Missernte infolge eines Schädlings – steht das Opium vor einer Hochblüte, erst recht nach dem vereinbarten Abzug der Nato-Truppen bis spätestens Ende 2014. UNDOC-Chef Juri Fedotow interpretiert den Report als einen „Weckruf“. Nicht nur der Anstieg der Schlafmohnfelder in den Unruheprovinzen Helmand und Kandahar sei besorgniserregend, wo dies deutlich in Relation zum Rückzug der US-Soldaten steht, sondern auch in jenen Regionen im Norden Afghanistans, die zuletzt keinen Drogenanbau betrieben.

Eine Million Dollar pro Provinz lobte allein die US-Botschaft für den Verzicht auf Anbau von Schlafmohn aus. Phasenweise hatte diese Anti-Drogen-Politik unter der Ägide der US-Truppen auch Erfolg. Angesichts der wachsenden politischen Unsicherheit im Lande – den Präsidentenwahlen im April und der vollen Souveränität ab 2015 – setzen jedoch immer mehr afghanische Bauern auf das lukrative Geschäft, das ihnen relativ leicht 700 bis 900 Dollar einbringt.

Zu den Profiteuren zählen die Taliban

Mittlerweile kassieren viele doppelt: für den Anbau von Getreide, Safran und Baumwolle im Tal – und für den von Schlafmohn in der Wüste. Jungbauer Gul Hamid resümierte gegenüber einer „New York Times“-Reporterin: „Heuer war die Ernte gut. Ich baute Weizen an – und Mohn.“ Lokale Polizisten drücken bei Bestechung ein Auge zu. Unter den Profiteuren sind nicht zuletzt die Taliban, die von den Bauern zehn Prozent Schutzgeld einheben – es ist der Treibstoff für ihren Aufstand.

Afghanistan entwickelt sich zum „Narko-Staat“: Dies ist das düstere Fazit westlicher Beobachter in Kabul wie des UNDOC-Chefs Fedotow in Wien, der Afghanistans Anbauflächen als Nährboden für Korruption bezeichnet. Jean-Luc Lemahieu, Chef des UNDOC-Büros in Kabul, zieht in Interviews eine Analogie mit den Anfängen der Drogenmafia in Kolumbien und Mexiko. Der Opiumhandel, so ein Experte, sei schon jetzt bedeutsamer als in Bolivien und Kolumbien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2013)

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