SPD öffnet rot-rot-grüne Option für 2017

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Beim Parteitag appellierte der SPD-Chef Gabriel an die Verantwortung für eine "Große Koalition der Vernunft", beendete aber den Bann gegen Links.

Wien/Leipzig. Ohne eine Reverenz an Willy Brandt, den sozialdemokratischen Säulenheiligen, der dieser Tage anlässlich seines 100. Geburtstags in mehr als einem Monat medial abgefeiert wird, kam kaum einer der Redner beim SPD-Parteitag in Leipzig aus. Vor knapp einem halben Jahr zelebrierten die deutschen Sozialdemokraten hier ihr 150-Jahr-Jubiläum, doch bei ihrem Konvent sollte die Vergangenheit keine dominante Rolle spielen – geschweige denn die Fehlersuche für einen missglückten Wahlkampf.

In der Thomaskirche, der einstigen Heimstatt Johann Sebastian Bachs, suchte die Parteispitze um Sigmar Gabriel vor dem Auftakt spirituellen Beistand für ihren künftigen Spagat als Juniorpartner in einer Großen Koalition unter Angela Merkel – parteiintern mitunter als „Schwarze Witwe“ apostrophiert – und die strategische Öffnung zur Linkspartei, ihrer Nemesis im linken Lager. Für 2017 soll dies der SPD endlich die ganz große Machtoption eröffnen. Darüber besteht Konsens. So hat es Gabriel seiner Partei just zur Mitte der anfangs erstaunlich glatten, mittlerweile indes aufreibenden Koalitionsverhandlungen mit der Union verordnet.

Renitente Basis

Viele nutzten den Parteitag als Forum, Dampf abzulassen gegen die ungeliebte Allianz. Da drohte die potenzielle Ministerkandidatin Manuela Schwesig im Streit um das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare gar mit dem Abbruch der Verhandlungen. Zuweilen werde sie von Magenkrämpfen gepeinigt, gestand sie ein. Generalsekretärin Andrea Nahles sprach taktisch gewieft von „fast unüberbrückbaren Differenzen“ mit CDU/CSU, um die zum Teil renitente Basis milde zu stimmen. Und eine Reihe von Promis um den Barden Konstantin Wecker machten in Leipzig mit einer Unterschriftenliste gegen eine Große Koalition mobil.

Unter Gerhard Schröder und seinen Nachfolgern galt eine Zusammenarbeit mit den Postkommunisten und später mit den Abweichlern unter Führung des Ex-SPD-Chefs Oskar Lafontaine, die sich aus Protest gegen die Reformagenda abgespalten hatten, als Tabu. Noch im Wahlkampf schloss die SPD die Option Rot-Rot-Grün dezidiert aus, die im Bundestag eine minimale „progressive“ Mehrheit auf sich vereinigt.

Sigmar Gabriel, Schröders wendiger Schüler aus Niedersachsen, steht in Leipzig unangefochten an der Spitze, obwohl er bei der Wiederwahl zum Parteichef mit 83 Prozent Einbußen hinnehmen musste. Er manövrierte seine Rivalen, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, aus. Selbstbewusst führte er die SPD auf Augenhöhe in Koalitionsverhandlungen, wo die Wahlverlierer die Themen vorgeben.

Gabriels Bewährungsprobe steht freilich noch aus. Schließlich war es seine Idee, die Koalitionsentscheidung erstmals an ein Mitgliedervotum zu knüpfen. In Regionalkonferenzen im Dezember wird das Partei-Establishment geschlossen dafür werben, in Leipzig begann das Buhlen. Gabriel streichelte die sozialdemokratische Seele, appellierte aber auch an die Verantwortung der Traditionspartei für eine „Koalition der nüchternen Vernunft“ – aber nicht um jeden Preis und mindestens um den eines bundesweiten Mindestlohns.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2013)

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