China: Aus für Arbeitslager und Ein-Kind-Politik

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Staatsmedien künden von revolutionären Beschlüssen des Parteikongresses der KP: Das System der „Umerziehung durch Arbeit“ soll fallen – wie auch die seit 1979 geltende Ein-Kind-Politik.

Versprochen hat Chinas Staatsoberhaupt, Xi Jinping, das bereits zu seinem Amtsantritt vor einem Jahr: das Ende von „Laojiao“, den berüchtigten Arbeits- und Umerziehungslagern. Nun macht er ernst: Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete am Freitag, dass das System der „Umerziehung durch Arbeit“ abgeschafft werde. Der Beschluss sei Teil einer umfassenden Reform des Justizsystems, mit der die Menschenrechtslage verbessert werde.

Die Entscheidung sei bereits am vergangenen Wochenende im Rahmen des Dritten Plenums des 18. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei gefallen, heißt es. Auf dem Parteikongress soll es zu einer ganzen Reihe von grundsätzlichen Beschlüssen gekommen sein, und einen weiteren, nicht minder sensationellen, gab Xinhua ebenfalls bekannt: Demnach soll die Ein-Kind-Politik stark gelockert werden, die es seit dem Jahr 1979 jungen Ehepaaren grundsätzlich verbietet, mehr als ein Kind zu haben.

Angeblich mehrere Millionen in Lagern

Arbeitslager sind in den 1950ern unter der Herrschaft von Mao Zedong eingeführt worden, unter anderem, um Oppositionelle gefügig zu machen. Das ist so auch heute noch der Fall. Offizielle Zahlen gibt es zwar nicht, doch Menschenrechtsgruppen gehen davon aus, dass noch immer bis zu 400.000 Menschen in mehr als 300 Lagern festgehalten und zu Zwangsarbeit verpflichtet werden.

Immer wieder berichten ehemalige Häftlinge von Willkür und grausamen Misshandlungen. Bis zu vier Jahre Strafarbeit können verhängt werden – ohne fairen Prozess und richterliches Urteil. Chinesische Dissidenten gehen sogar landesweit von mehreren Millionen Menschen in mehr als 1000 Lagern aus, viele davon sollen Anhänger der in China verbotenen Sekte Falun Gong sein.

Anfang des Jahres gab es bereits Andeutungen, dass die neue Führung um Xi Jinping die Lager abschaffen würde. Bis jetzt ist freilich noch kein Zeitrahmen bekannt. Die Ankündigung seitens der Staatsmedien klingt aber glaubhaft: Xis Vater, ein ranghoher KP-Kader der ersten Stunde, fiel während der Kulturrevolution zwischen 1966 und 1976 bei Mao in Ungnade und musste viele Jahre in einem Umerziehungslager darben.

Das Ende der Ein-Kind-Politik wäre unterdessen von der Zahl der Betroffenen her gesehen ein weit größerer Einschnitt in Chinas Alltag: Die Politik wurde 1979 eingeführt, um die sprunghafte Bevölkerungszunahme einzudämmen. Über Jahrhunderte, ja Jahrtausende hatten Kriege, Katastrophen, Hungersnöte und andere Faktoren Chinas Bevölkerung eingedämmt; Chinas ab 1949 herrschende KP indes forcierte eine hohe Geburtenrate als Basis für Entwicklung und Machtzunahme ganz Chinas. Das Ganze geriet außer Kontrolle und China wuchs von etwa 540 Millionen Menschen anno 1949 auf 940 Millionen (1979), worauf die KP die Notbremse zog.

De facto kommt Zwei-Kind-Politik

Heute hat China dennoch 1,35 Milliarden Einwohner, was auch daran liegt, dass die Ein-Kind-Politik Ausnahmen kannte und auf dem Land weniger streng befolgt wurde als in den Städten: So durften etwa Bauern ein zweites Kind bekommen, wenn das erste ein Mädchen war. Die Regierung sagt freilich, man habe durch die Politik weitere 300 Millionen Chinesen „verhindert“.

Die Behörden gingen in den vergangenen Jahren nicht mehr ganz so restriktiv vor und erlaubten sogar zwei Kinder, wenn beide Elternteile bereits Einzelkinder waren. Trotzdem kam es immer wieder zu staatlich verordneten Zwangsabtreibungen. Die neue Politik sieht laut Xinhua nun vor, dass Paare, bei denen ein Teil Einzelkind ist, künftig zwei Kinder haben dürfen – es gibt in China aber kaum noch Paare, von denen nicht mindestens ein Teil Einzelkind ist, also wird es faktisch zu einer Zwei-Kind-Politik kommen.

„Noch nicht reif für Menschenrechte“

Die Umerziehungslager indes sind nur die Spitze der Behördenwillkür. Es gibt auch „schwarze Gefängnisse“, das sind geheime Einrichtungen, wohin Bürger ohne Haftbefehl verschleppt werden. Dabei hat der Volkskongress vor anderthalb Jahren beschlossen, dass Inhaftierte binnen 48 Stunden mit einem Anwalt sprechen dürfen, was ein deutlicher Fortschritt in Chinas Recht gewesen wäre.

Die Führung bestreitet heute nicht mehr, dass es Defizite bei den Menschenrechten gebe. Sie meint aber, Menschenrechte im westlichen Sinn könne man erst später einführen, denn den meisten Chinesen mangle es an Rechtsbewusstsein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2013)

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