Viel Lärm um 750 Euro

Former German President Christian Wulff awaits the start of his trial at the regional court in Hanover
Former German President Christian Wulff awaits the start of his trial at the regional court in HanoverREUTERS
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Die Deutschen sehen ihren Ex-Präsidenten Christian Wulff nun als Opfer seiner selbst. Im Korruptionsprozess geht es um kleinliche Details.

Berlin. Die Geschichte von Aufstieg und Fall des Christian Wulff wird soeben in Berlin als Dokudrama verfilmt. Ein kühnerer Plot könnte keinem Drehbuchautor einfallen. Der Showdown findet seit Donnerstag im echten Leben statt: ein früherer Bundespräsident auf der Anklagebank. Die Staatsanwälte wollen ihm Korruption nachweisen, Wulff kämpft um seine Ehre und will den Freispruch, die vollständige Rehabilitation. Das Angebot eines Bußgeldes von 20.000 Euro, das ihn vom Risiko einer Vorstrafe befreit hätte, lehnt er ab. Fünf Monate Prozess stehen bevor, danach womöglich eine Revision beim Bundesgerichtshof. Die Ermittler hatten über ein Jahr lang akribisch alle Vorwürfe durchleuchtet, die in den Monaten vor Wulffs unrühmlichem Abgang aufgetaucht waren. Auf 22.000 Seiten haben sie ihre Ergebnisse penibel festgehalten.

Ein gigantischer Aufwand also – für 753 Euro. Nur das blieb gerichtsfest von den Vorwürfen: ein Teil der Kosten für ein Oktoberfestwochenende, zu dem David Groenewold das Ehepaar Wulff 2008 eingeladen hatte, und ein erfolgloser Bettelbrief, den der niedersächsische Ministerpräsident zwei Monate später für ein Projekt des Filmproduzenten an Siemens geschrieben hatte. Ein Zusammenhang ist, wenn überhaupt, nur schwer nachzuweisen. 753 Euro sind im Vergleich zu anderen Schmiergeldaffären eine lächerliche Summe. Auch im sauberen Deutschland: Zeitgleich mit dem Prozessbeginn in Hannover wurde in Augsburg der Waffenlobbyist Karlheinz Schreiber verurteilt. Er war die Zentralfigur der Schwarze-Kassen-Affäre der Ära Kohl – und dabei ging es um Millionen.

Es ist dieses offenkundige Missverhältnis zwischen Aufwand und Anlass, das der Öffentlichkeit zu denken gibt. Wulff hat sein Amt verloren, seine Reputation, seine Frau. Er wirkt um viele Jahre gealtert. Die Deutschen haben nun Mitleid mit ihm. Sie sehen ihn als Opfer – vor allem seiner selbst. Sicher gibt es auch leise Selbstkritik der Medien für das Halali, zu dem sie spätestens nach Wulffs Drohanruf beim „Bild“-Chefredakteur geblasen haben. Manche haben hier die Schwelle von intensiver Recherche zum Kampagnenjournalismus überschritten. Aber unverständlich bleibt, warum Wulff auf Vorwürfe, die er offenbar hätte ausräumen können, so unprofessionell reagiert hat – mit Salamitaktik, Rabulistik und Halbwahrheiten. Am Ende steht ein Monsterprozess, der als kleinlich und peinlich empfunden wird.

Hoffnung auf Klärung der Grauzonen

Es gibt auch eine andere Sichtweise: Der Betrag, der im Raum steht, mag gering sein. Aber darum gehe es nicht. Sondern um das Vertrauen der Bürger in die Institutionen, um die Sicherheit, dass Politiker völlig unabhängig handeln und die gleichen strengen Regeln erfüllen, die sie für ihre Beamten aufgestellt haben. Viele hoffen, dass der Prozess das Rechtsverständnis schärft, dass er die Grauzone zwischen großzügigen Gesten, Freunderlwirtschaft und Bestechlichkeit in klarem Schwarz und Weiß erscheinen lässt.

Diese Hoffnung aber dürfte sich nicht erfüllen. Wer soll nachweisen oder widerlegen, dass Wulff und Groenewold enge persönliche Freunde sind? Wer soll entscheiden, ob es zu den normalen Aufgaben eines Ministerpräsidenten gehört, sich durch Bittschreiben für die Filmwirtschaft seines Landes einzusetzen? Die Grauzone wird grau bleiben.

Auch die von den Ermittlern ad acta gelegten „Fälle“ kommen nochmals auf den Tisch, vom zinsvergünstigten Hauskauf bis zum Bobbycar für den Sohnemann. Denn der Richter hat die Anklage von Bestechlichkeit auf Vorteilsnahme abgeschwächt. Da für diese mindere Form von Korruption der „böse Anschein möglicher Käuflichkeit“ ausreicht, müssen nun das Umfeld und die Persönlichkeit Wulffs durchleuchtet werden. Die „Süddeutsche“ hat in den Akten nachgelesen, welch absurde Details die Ermittler dazu zusammengetragen haben. Etwa, wann Wulff Münzen in der Tasche hatte, um im Urlaub auf Sylt den Strandkorb zu bezahlen. Einen solchen Prozess, empfinden nun viele, hat niemand verdient. Weder Wulff noch die deutsche Öffentlichkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2013)

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