Frankreich: „Rote Mützen“ machen gegen Hollande mobil

Hollande, Frankreich, Protest,Steuerpolitik
Hollande, Frankreich, Protest,Steuerpolitik(c) REUTERS (PHILIPPE WOJAZER)
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In der Bretagne gehen die Menschen gegen die Zentralregierung auf die Straße. Der Protest gegen die Steuerpolitik ist zu einem Katalysator für autonomistische Bestrebungen geworden.

Carhaix. Rote Mützen dienen als Erkennungszeichen der Demonstranten. Die Proteste gegen die LKW-„Ökosteuer“ haben sich zu einer Revolte gegen die Steuerpolitik der Zentralregierung ausgedehnt. Am Wochenende brachten mehr als 2000 LKW-Fahrer aus Protest den Verkehr auf den Autobahnen zum Erliegen, gleichzeitig wächst der Widerstand gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer im Gewerbe ab 2014.

Begonnen hat die Bewegung der „Bonnets rouges“ (Roten Mützen) im historischen Städtchen Carhaix im Herzen der Bretagne. Niemand hier hat den Aufstand der Bauern und Handwerker gegen eine Stempelsteuer des Sonnenkönigs vergessen, der als Bewegung der „Bonnets rouges“ in die Geschichte einging. Im historischen Zentrum, gleich hinter dem Rathaus hat Matthieu Guillemot im ehemaligen Ursulinenkloster sein Restaurant mit dem bretonischen Namen Ar bonnedù ruz (Die Roten Mützen) eröffnet. Die Fassade ziert das Porträt des Anführers des Aufstands von 1675, Sébastien Le Balp.

Im Lokal hängen die Regionalistenfahnen der Basken, Korsen, Katalanen und selbstverständlich jene der Bretagne. An der Wand erinnern wie Relikte zwei Heugabeln und eine rote Mütze an die Revolte des 17. Jahrhunderts. Der Aktivist der linksextremen Nouveau Parti anticapitaliste mischt in jeder freien Minute in der Bewegung gegen die Schwerverkehrsabgabe und in den Konflikten gegen die Betriebsschließungen in der Bretagne mit. Erstaunlich ist, wie sich bei diesen Aktionen lokale Arbeitgeber, Bauern, Arbeiter und Geschäftsleute zu einer eher ungewöhnlichen Koalition gegen Paris gefunden haben.

Bewegung breitete sich aus

„Der Bretone ist von Natur aus kein Rebell, man muss ihn schon lange plagen und provozieren. Aber wenn er die Ungerechtigkeiten zu lange hinnehmen muss, steht er schließlich auf und sagt Nein“, beschreibt Christian Troadec, der Bürgermeister von Carhaix, den Charakter seiner Landsleute. In dieser Weise hat die Einführung einer „Ökosteuer“ für den Schwerverkehr das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. „Re zo re“ („Zu viel ist zu viel“) lautet darum in der keltischen Regionalsprache der Kampfruf einer Bewegung, die sich in den letzten Wochen wie ein Lauffeuer aufs restliche Land ausgedehnt hat.

Die Zentralregierung musste ihre „Ökosteuer“ verschieben. Doch den Bretonen geht es längst um mehr. Sie wollen ihre Lebensqualität, ihre Kultur und Sprache und ihre Arbeit verteidigen – wenn es sein muss gegen die Zentralmacht. Die Wut über die Steuerpolitik hat ihre autonomistischen Bestrebungen wiedererweckt.

Der wahre Grund dafür ist die schwere Krise, in der das auf Geflügelzucht und Schweinemästerei basierende Wirtschaftsmodell der Bretagne steckt. Die Schlachthöfe und die verarbeitende Food-Industrie schließen Betriebe, jedes Mal gehen Hunderte von Stellen und existenzielle Aufträge für lokale Zulieferer verloren. Gleich neben Carhaix stellt in Pollaouen der norwegische Konzern Marine Harvest Kritsen per 2014 die Produktion und den Versand von Räucherlachs ein. Für zehn Tage haben die betroffenen 287 Arbeiter aus Protest den Zugang zum Werk Tag und Nacht blockiert. Wie ein Fanal stieg der beißend riechende schwarze Rauch aus brennenden Reifen und Abfallholz in den Himmel.

Olivier Le Fur (43) bringt auf den Punkt, warum er und seine Kollegen besonders aufgebracht sind: „Der Konzern macht in diesem Jahr 500 Millionen Euro Gewinn, uns aber schmeißt man weg wie ausgepresste Zitronen.“ Da die Arbeiter bei Marine Harvest das Ende der Produktion nicht verhindern können, haben sie einem Kompromiss zugestimmt: 80 von ihnen bekommen eine Stelle in einem anderen bretonischen Werk des Konzerns, die restlichen eine nach Dienstjahren berechnete Abfindung.

Enttäuschung über Hollande

Vergeblich hatte man bei Marine Harvest auf Hilfe aus Paris gehofft. „Hollande hatte ein Gesetz versprochen, das Stilllegungen aus purer Gefälligkeit gegenüber den Aktionären verbietet. Die Bretagne hat ihn mit 56 Prozent zum Präsidenten gewählt. Wo bleibt er jetzt?“, meint Le Fur.

In die Verbitterung über die Krise der Agro-Wirtschaft und die Wut über eine „Ökosteuer“, welche die Kosten in ländlichen Randregionen wie der Bretagne zusätzlich belasten müsste, mischt sich so die Enttäuschung über Hollande und seine Linksregierung. Bereits jetzt ist er mit nur noch 15 Prozent positiver Werte in Umfragen der unpopulärste Staatschef Frankreichs seit 50 Jahren. Die „Rotmützen“ sind wie ein Albtraum für Hollande. Die traditionelle Kopfbedeckung der bretonischen Bauern wird landesweit zum Symbol des „Ras-le-bol fiscal“ (Steuerkoller) oder überhaupt zum Zeichen der Opposition.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2013)

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