Alexej Puschkow: „EU hat sich mit der Ukraine übernommen“

Alexej Puschkow
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Der Chef des außenpolitischen Komitees im russischen Parlament sagt, die Ukraine habe sich gegen die EU entschieden, weil Russland billiges Gas geboten und Brüssel die Freilassung Timoschenkos verlangt habe.

Die Presse: Die Ukraine hat das Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis gelegt und sich für eine Intensivierung der Beziehungen zu Russland entschieden. Hat Sie diese Wende überrascht?

Alexej Puschkow: Vor einem Monat hätte es mich sehr überrascht, aber in den vergangenen Wochen haben die Ereignisse eine andere Wendung genommen.

Was war entscheidend?

Die EU hat einen Fehler begangen. Sie hat das ganze Abkommen von Timoschenko abhängig gemacht. Für die EU ist das eine Frage des Prinzips. Man hätte jedoch einkalkulieren müssen, dass Julia Timoschenko nicht irgendjemand ist, sondern die Hauptgegnerin von Präsident Janukowitsch. Als die EU ihre Freilassung forderte, versuchte sie die Machtbalance in der Ukraine zu beeinflussen. Keine gute Idee. Es schien, als ob die EU vor der Wahl 2015 auf die Opposition setzte und gegen Janukowitschs Partei der Regionen. Die EU hat sich mit der Ukraine übernommen, als sie es zur Bedingung fürs Assoziierungsabkommen machte, dass das ukrainische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das der Ex-Premierministerin die Ausreise zur medizinischen Behandlung erlaubt.

Präsident Janukowitsch scheint dieser Bedingung ursprünglich zugestimmt zu haben.

In Kiew haben sich vielleicht einige gedacht, die EU wird die Forderung fallen lassen. Es hat sich, nach einer eingehenden Analyse vermutlich herausgestellt, dass die Partei der Regionen ein solches Gesetz nicht verabschieden kann. Die Ukraine betont immer, dass sie ein souveräner Staat ist. Russland ist deshalb sehr vorsichtig mit seinen Statements.

Vorsichtig erschienen die Maßnahmen, mit denen Russland die Ukraine zuletzt unter Druck gesetzt hat, nicht gerade.

Ich rede von Statements. Sie werden keine einzige russische Erklärung finden, in der die Unabhängigkeit und Souveränität der Ukraine infrage gestellt werden. Wir haben der Ukraine nie vorgeschlagen, ihr Rechtssystem oder einzelne Gesetze zu ändern. Die Europäische Union hat das schon getan.

Russland hat wirtschaftlichen Druck ausgeübt.

Das war kein Druck. Russland hat die Ukraine lediglich wissen lassen, dass es seinen Markt mit Zöllen vor billigeren Produkten verteidigen wird, falls sich die Ukraine der Freihandelszone der EU anschließen sollte. Das geschah in Übereinstimmung mit den Erfordernissen der WTO. Jeder direkte Druck ist kontraproduktiv. Russlands Nachbarstaaten sollen ihre Zukunft selbst entscheiden. Das ist ihr Recht. Aber Russland hat das Recht zu sagen, was in seinem Interesse ist.

Vermuten Sie auch Entwicklungen hinter dem Vorhang, die noch nicht bekannt sind?

Wir kennen nicht die Details der Gespräche zwischen Janukowitsch und Putin in Moskau. Aber die russischen Karten liegen offen da. Wenn die Ukraine der Zollunion mit Russland beitritt, wird sie für Öl und Gas weniger bezahlen. Jetzt zahlt sie 420 Dollar für 1000 Kubikmeter Gas, dann 169. Das macht einen Unterschied von zehn Milliarden Dollar im Jahr.

Die ukrainische Elite hatte sich offenbar zuvor schon für Europa entschieden, weil sie dort bessere Marktchancen sah.

Nur eine kleine Industriellengruppe würde von der Freihandelszone mit der EU profitieren, die Metallerzeuger etwa. Die meisten ukrainischen Güter sind nicht konkurrenzfähig auf dem europäischen Markt. Die Ukraine würde in den ersten fünf bis acht Jahren bei einer Assoziierung verlieren. Um die Wettbewerbsfähigkeit der ukrainischen Industrie zu steigern, bräuchte sie laut Janukowitsch 100 bis 500 Milliarden Dollar in zehn Jahren. Woher soll das Geld kommen? Die EU hat es nicht.

Warum ist die Ukraine so wichtig für Russland?

Warum ist die Ukraine so wichtig für die EU? Die Ukraine ist ein großer Markt. Und sie ist für Russland emotional wichtiger als für Europa. Denn in der Ukraine leben 13 Millionen Menschen, die im Prinzip Russen sind. Letztlich folgen Russland und die EU derselben Logik. Die EU kann keine neuen Mitglieder der Größe der Ukraine aufnehmen, aber eine Assoziierung gäbe der EU eine gewisse Dynamik. Russland hat seine eigene Integrationszone: die Zollunion mit Weißrussland und Kasachstan. Wir wollen darüber hinaus die Eurasische Union schaffen. Wir wollen auch Dynamik, wir wollen auch neue Länder aufnehmen.

Ist Europa einfach nicht mehr so attraktiv wie früher?

In den vergangenen fünf Jahren ist etwas passiert mit dem Image Europas. Aufgrund der Krise gilt Europa nicht mehr als voller Erfolg. Die Leute haben gesehen, was in Griechenland, Bulgarien, Spanien oder Portugal passierte. Die EU hat weniger anzubieten als früher. Es fehlt ihr das Geld. Kiew zieht in Betracht, dass die Kapazität der EU, Finanzhilfen zu geben, limitiert ist.

Es geht ja nicht nur um Geld, sondern auch um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

Die Ukraine hält als Mitglied des Europarats nichts davon ab, diesen Weg einzuschlagen.

Das Assoziierungsabkommen hätte neue Standards für die Modernisierung der Ukraine gesetzt.

Die Ukraine sucht verzweifelt nach einer Möglichkeit, für russisches Gas zu zahlen. Sie schuldet Russland noch viel. Wenn man kein Geld in der Tasche hat, ist ein Modernisierungskonzept, das sich in 15 Jahren materialisiert, nett, aber man muss auch von etwas leben.

Vielleicht will die Ukraine lavieren zwischen Russland und EU.

Das wäre logisch. Auch wenn beim Vilnius-Gipfel kein Assoziierungsabkommen unterzeichnet wird, ist das noch nicht das Ende der Geschichte. Und Russland hat bisher noch nicht definitiv gehört, dass die Ukraine der Zollunion beitritt.

ZUR PERSON

Alexej Puschkow (geb. am 10. August 1954 in Peking) ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im russischen Parlament. Vor seiner Politikerkarriere war der Absolvent des Moskauer Instituts für internationale Beziehungen als Fernsehstar bekannt. Er ist nach wie vor Redaktionsleiter und Moderator des wöchentlichen TV-Politmagazins „Postskriptum“. Von 1988 bis 1991 war er außenpolitischer Berater und Redenschreiber von Michail Gorbatschow sowie von 2008 bis 2011 Leiter der Diplomatischen Akademie in Moskau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2013)

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