"Scottsboro Boys": Gnade nach 80 Jahren

"Scottsboro Boys": Gnade nach 80 Jahren (c) imago stock&people (imago stock&people)
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Der Fall hat in den 1930er Jahren für Aufsehen gesorgt: Acht schwarze Männer werden beschuldigt, zwei weiße Frauen vergewaltigt zu haben. Der Prozess kippt das Gesetz, dass Schwarze keine Geschworenen sein dürfen.

Es hat 82 Jahre gedauert. Als am 25. März 1931 in einem Zugwaggon zwischen mehreren Landstreichern ein Streit ausbricht, waren die Verhältnisse bereits im Vorhinein klar: Die einen sind weiß, die anderen schwarz - und der Zug tuckert durch den von Rassentrennung geprägten Süden der USA. Als die Gruppe weißer Männer vom Zug hinausgeworfen wird, wendet sie sich an die Polizei und berichtet, dass sie von den schwarzen Männern angegriffen wurde. Sie alle werden verhaftet. Und der Prozess gegen die neun Schwarzen - sie sind Teenager zwischen 13 und 19 Jahren - wird zu einem der aufsehenerregendsten in den USA, der nun, mehrere Jahrzehnte später, ein endgültiges Ende findet. Am 21. November werden drei von ihnen posthum begnadigt.

Bei der Verhaftung befinden sich auch zwei weiße Frauen im Waggon. Aus Angst, sie könnten der Prostitution beschuldigt werden, behaupten Ruby Bates und Victoria Price, dass sie von den schwarzen Männern vergewaltigt wurden. Der Prozess in Scottsboro, Alabama, beginnt an einem Markttag, tausende Menschen sind zugegen. Die Jury besteht, wie üblich, aus Weißen. Die Frauen schildern, wie sie angeblich vergewaltigt und mit Messern bedroht wurden. Bates wird ihre Aussagen einige Monate später wieder zurückziehen und sich für die Freilassung der Inhaftierten einsetzen. Aber auch das wird nicht zu einem Freispruch führen.

Hastig geführter Prozess

In dem hastig geführten Prozess werden die Beschuldigten - bis auf den Jüngsten, Roy Wright - schuldig gesprochen und sollten mit dem Tod bestraft werden. Nach Protesten gegen das Urteil wird die Kommunistische Partei der USA auf den Fall aufmerksam. Ihre Recherchen ergeben, dass Bates und Price tatsächlich als Prostituierte gearbeitet haben. Sie fechten das Urteil an und stellen neue Anwälte ein. Einer ihrer Kritikpunkte ist, dass in der Jury kein einziger Schwarzer vertreten war. In einer zweiten Prozessrunde wird die Todesstrafe allerdings bestätigt, nur der 13-jährige Eugene Williams soll nicht auf dem elektrischen Stuhl landen.

Kritik am Urteil kommt auch von einem der Richter. Nach der Urteilsverkündung - und nachdem die Vorwürfe gegen die Frauen aufgetaucht sind - distanziert sich John C. Anderson vom Prozess. Die Beschuldigten, so Anderson, sind der Öffentlichkeit vorgeführt worden und haben kein faires Verfahren bekommen. Der Fall landet jedenfalls im Obersten Gerichtshof, es ist Oktober 1932. Hier werden die Bedenken von Anderson aufgegriffen. Zudem hätten die Verteidiger nicht genug Zeit gehabt, um sich auf den Prozess vorzubereiten. An der Schuld der betroffenen Männer scheint allerdings auch der Oberste Gerichtshof nicht zu zweifeln. Der Fall wandert anschließend wieder nach Alabama, wo der Prozess neu aufgerollt wird. Die Kommunistische Partei kann für den ersten Fall - Haywood Patterson vs. Alabama - den berühmten Anwalt Samuel Leibowitz, einen Demokraten, als Verteidiger engagieren. Leibowitz hat bis dato noch keinen einzigen Fall verloren. Er ist es auch, der während des Prozesses immer wieder anprangert, dass Schwarze nicht als Geschworene zugelassen werden (abgesehen davon, dass sie vom Wahlrecht ausgeschlossen waren).

Antisemitische Bemerkungen

Vor Gericht kann Leibowitz die Widersprüche von Price darlegen, während ihn die Anklage mit antisemitischen Bemerkungen zu verunsichern sucht. An einem Prozesstag taucht plötzlich Ruby Bates auf. Sie war nach dem ersten Prozess aus Alabama geflüchtet, eine Zeit lang wurde fieberhaft nach ihr gesucht. Nun sei sie zurückgekehrt, um die Wahrheit zu sagen. Auf die Frage, ob sie an jenem Tag vergewaltigt worden ist, antwortet sie mit „Nein, Sir." Sie habe gelogen, aus Angst, dass sie im Gefängnis landen könnte. Die Jury lässt sich nicht beeindrucken: das Urteil lautet schuldig und elektrischer Stuhl. Patterson, zum Zeitpunkt seiner Festnahme war er 14 Jahre alt, wird für diesen Fall auch später nochmals vor Gericht stehen und für schuldig befunden werden, allerdings wird er mit einer 75-jährigen Haftstrafe belegt werden (1950 erscheint seine Autobiografie „Scottsboro Boy", zwei Jahre später stirbt er im Gefängnis an Krebs).

Während des weiteren Prozesses werden die Schuldsprüche gegen vier weitere Angeklagte fallengelassen, die anderen Schuldsprüche - Gefängnisstrafen bzw. Todesurteil - werden bestätigt. Der Fall wandert aber wieder zum Obersten Gerichtshof (im Übrigen ist in Amerika kein Fall bekannt, der so oft mit einem Urteil, Berufung und Aufhebung des Urteils endete). Die Urteile werden aufgehoben, es wird festgestellt, dass kein Amerikaner wegen seiner Hautfarbe als Geschworener ausgeschlossen werden darf. Der Fall wandert wieder nach Alabama. Letztlich fallen die finalen Urteilssprüche.

Haywood Patterson: 75 Jahre Haft wegen Vergewaltigung (er ist der erste Schwarze, der wegen einer Vergewaltigung nicht die Todesstrafe erhält).

Clarence Norris: Todesstrafe wegen Vergewaltigung, wird später zu einer lebenslangen Haftstrafe umgewandelt. Er kann fliehen und lässt sich in New York nieder.

Andrew Wright: 99 Jahre Haft wegen Vergewaltigung. Er wird frühzeitig entlassen, muss allerdings später wieder in Haft.

Charlie Weems: 105 Jahre Haft wegen Vergewaltigung. Er sitzt 12 Jahre ein.

Ozie Powell: Bei der Überführung von einem Gefängnis in ein anderes ersticht Powell einen Polizisten. Er wird von einem Polizisten angeschossen und schwer verletzt. Powell muss 20 Jahre ins Gefängnis - davon sitzt er zehn Jahre ein - und wird von den Vergewaltigungsvorwürfen freigesprochen.

Die Anklagen gegen Willi Roberson, Olen Montgomery, Eugene Williams und Roy Wright werden fallengelassen. Zuvor haben sie mehrere Jahre im Gefängnis verbracht. Wright, Weems und Patterson sind nun posthum begnadigt worden. Die Entscheidung war "längst überfällig", so Alabamas Gouverneur Robert Bentley. Der Prozess rund um die "Scottsboro Boys" - ein Paradebeispiel von Rassismus in der Justiz - hat nicht nur das Gefälle zwischen den Nord- und Südstaaten aufgezeigt, sondern auch eine öffentliche Debatte über die Lage der Schwarzen in den USA losgetreten. Fürsprecher der Angeklagten war unter anderem Albert Einstein. 

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