Der geheime Atomdeal der Saudis mit Pakistan

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Auf einem Stützpunkt bei Islamabad stehen saudische Maschinen bereit, um pakistanische Atomwaffen auszufliegen.

Vor der Kulisse der Prager Burg skizzierte Barack Obama am 5. April 2009 vor zehntausenden Menschen sein wichtigstes außenpolitisches Ziel. Der US-Präsident gab im Namen der USA das Versprechen ab, „eine Welt ganz ohne Atomwaffen zu schaffen“. Global Zero! „Yes, we can!“, versprach Obama unter dem frenetischen Jubel seiner Zuhörer.

„Nein, er kann es eben nicht“, kommentiert ganz undiplomatisch ein französischer Diplomat in Paris. „In Genf hat Barack Obama sein Versprechen gebrochen.“ Das in der Nacht zum Sonntag mit dem Iran geschlossene Interimsabkommen bezeichnet er als einen „Kniefall des Westens vor der Islamischen Republik.

Der Iran habe in den letzten Jahren eine breite „militärische Nuklearstruktur etabliert“ und alle technischen Schwierigkeiten auf dem Weg zur Bombe gemeistert, inklusive der Probleme bei der Entwicklung eines fortgeschrittenen Atomsprengkopfes nach dem Zwei-Punkt-Implosionssystem. Der Iran sei im Besitz von Mittelstreckenraketen, ausgelegt einzig und allein für den Transport nuklearer Sprengköpfe. „Der Iran rüstet nuklear auf, nicht ab“, so der Diplomat. Das habe „unabsehbare Folgen. Nicht nur regional, sondern auch global. Willkommen im Zeitalter der nuklearen Proliferation,“ meint er sardonisch. Harsche Worte eines Diplomaten, der sein Land lange Jahre im Nahen Osten vertreten hat. Einschätzungen, die in den Hauptstädten der explosivsten Ecke dieser Welt ihre Entsprechung finden. Dort gilt Barack Obama als „der schwächste Präsident, den die USA seit dem 2. Weltkrieg hatten“.

Den Militärmachthabern in Kairo und Algier, den Monarchen in Rabat und Amman, den Prinzen und Sultanen am Golf ist eines gemeinsam. Eine panische Angst vor einem nuklear hochgerüsteten schiitischen Gottesstaat. Die sunnitischen Herrscher glauben nicht mehr daran, dass die USA die Islamische Republik vom Bau der Bombe abhalten werden. „Diplomatisch können die USA es nicht mehr verhindern, militärisch wollen sie es nicht“, zitiert der Diplomat saudische Gesprächspartner.

Die Antwort der sunnitischen Potentaten auf die schiitische Nuklearrüstung hin zur Bombe hat der saudische König Abdallah 2009 in schonungsloser Offenheit dem damaligen Nahost-Beauftragten Obamas, Dennis Ross, gegeben. „Wenn die Iraner Atomwaffen bekommen, dann bekommen wir sie auch“, bekräftigte König Abdallah im Gespräch auf mehrfaches Nachfragen gegenüber Ross.

Nukleare Söldner in Riad

Schon 2006 verkündeten mit Ägypten, Tunesien, Marokko, den Vereinigten Emiraten, Algerien und Saudiarabien sechs sunnitische Staaten demonstrativ eine massive Ausweitung ihrer teilweise schon bestehenden zivilen Nuklearprogramme – als Antwort auf die iranische Nuklearrüstung. So will der weltgrößte Ölexporteur Saudiarabien bis 2030 mindestens 16 Atomreaktoren in Betrieb nehmen. Was einen heute pensionierten Inspektor der Wiener Atomkontrollbehörde IAEA damals zu einem sarkastischen „Bingo“ hinriss. „Die Saudis haben viele Probleme, aber bestimmt keines mit der Energieversorgung. Wer bei seinem Atomprogramm die technischen Probleme des nuklearen Brennstoffkreislaufs gelöst hat, ist 95 Prozent des Weges zur Bombe gegangen.“

Der ehemalige IAEA-Inspektor verweist dieser Tage darauf, dass Saudiarabien und andere sunnitische Staaten dem Beispiel Syriens folgen könnten. Syrien hatte, obwohl Signaturstaat des Atomwaffensperrvertrages, in aller Stille und zudem von der Wiener IAEA und westlichen Geheimdiensten über Jahre unbemerkt, einen Plutoniumbrüter aufgebaut. Einziger Zweck: die Produktion von waffenfähigem Plutonium. Die israelische Luftwaffe zerstörte den Brüter 2007 unmittelbar vor seiner Fertigstellung.

Am Geld dürften die nuklearen Ambitionen der Saudis nicht scheitern. An der wissenschaftlichen Expertise ebenso wenig. Saudische Atomwissenschaftler werden seit Mitte der Neunzigerjahre in militärischen Nukleareinrichtungen Pakistans aus- und weitergebildet. Westliche Geheimdienste registrieren zudem seit spätestens 2003 einen Braindrain pakistanischer Nuklearwissenschaftler Richtung Saudiarabien. Die Saudis lockten zudem aus dem globalen Pool nuklearer Söldner mit exorbitanten Summen hoch spezialisierte Atomwissenschaftler; vorzugsweise aus Südafrika und Russland.

Pakistan, schon heute die fünftgrößte Atommacht der Welt mit dem am schnellsten wachsenden Arsenal nuklearer Sprengköpfe, kooperiert seit Beginn der Siebzigerjahre mit den saudischen Herrschern. Offiziell wie inoffiziell. Der Vater der pakistanischen Bombe, Abdul Kadir Khan, hielt sich mehr als 50-mal in Saudiarabien auf und offerierte die Produkte seines nuklearen Supermarkts. Laut Abdul Kadir Khan wurde ihm dort zum Dank die saudische Staatsbürgerschaft angeboten.

Die enge Zusammenarbeit der beiden Staaten kann nicht verwundern. Die Saudis haben die nukleare Hochrüstung Pakistans seit Beginn der Siebzigerjahre zur Hälfte mit Milliarden Dollars finanziert und versorgen das bitterarme Entwicklungsland mit drastisch verbilligten Öllieferungen.

„Kein Deal aus Barmherzigkeit, vielmehr einer aus kaltem Kalkül“, zitiert der französische Diplomat pakistanische Kollegen und verweist zusätzlich auf seine Einsicht in „westliche, nicht israelische Geheimdienstberichte“, nach denen sich der damalige Kronprinz und heutige König Saudiarabiens bei seinem Besuch in Islamabad 2003 in einem geheimen militärischen Abkommen ein Zugriffsrecht auf die pakistanischen Nuklearwaffen zusichern ließ.

„Die Hälfte der mehr als 140 pakistanischen Atomwaffen hat mittlerweile saudische Codes“, erklärt er. Es sei „ein Fakt“, dass auf dem Luftwaffenstützpunkt Kamra unweit von Islamabad ständig zivil angestrichene saudische Transportmaschinen bereitstünden, um pakistanische Atomwaffen nach Saudiarabien zu fliegen. König Abdallah und sein Geheimdienstchef hätten die doppelten Codes, mit denen der Transport ausgelöst werde. Nicht die pakistanische Regierung.

Langstreckenraketen im Silo

Westliche Geheimdienste gehen davon aus, dass Saudiarabien Raketensysteme zum Transport nuklearer Sprengköpfe besitzt. Das Land habe seine 1988 in China gekauften CSS-2-Raketen inzwischen modernisiert. Darüber hinaus, das belegen Satellitenaufnahmen, sind die Raketensilos der unterirdischen Militäranlage al-Sulaiyil, 100 Kilometer südlich von Riad, mit Langstreckenraketen des Typs Ghauri bestückt. Ausgelegt für Atomsprengköpfe. Geliefert von Pakistan.

„Die saudischen Herrscher sitzen auf einem morschen Thron“, meint der Diplomat. „Wenn die Saudis die Bombe haben und das Haus Saud zusammenstürzt, dann weiß niemand, wer danach den Finger am nuklearen Abzug hat.“

HINTERGRUND

Laut westlichen Geheimdienstensicherte sich 2003 Abdallah, damals Kronprinz und heute König Saudiarabiens, in einem Militärabkommen ein Zugriffsrecht auf pakistanische Atomwaffen. Die Hälfte der mehr als 140 pakistanischen Atomwaffen haben angeblich saudische Codes, über die Abdallah und sein Geheimdienstchef verfügen. Auf dem Luftwaffenstützpunkt Kamra parken Transportmaschinen, um die pakistanischen Atomwaffen nach Saudiarabien zu fliegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2013)

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