Deutschland: Noch einmal Zittern vor der „GroKo“

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Die SPD-Basis hat entschieden, ob sie eine Große Koalition zulässt. Am Samstag wird ausgezählt. Die Parteispitze gibt sich optimistisch. Bei einem Nein droht das Chaos.

Berlin. Während Deutschland in das Wochenende hineinschlummert, läuft sie auf vollen Touren: die Hochleistungsschlitzmaschine in einem alten Postbahnhof in Berlin-Kreuzberg. Hunderttausende Briefe von SPD-Mitgliedern muss sie in ein paar Stunden öffnen, damit ab Samstagmorgen ausgezählt werden kann. Vor zwei Jahren fand hier in der „Station“ ein Parteitag statt, auf dem die Sozialdemokraten den rot-grünen Aufbruch beschworen. Doch es kam anders: Nach einem schwachen Wahlergebnis entscheidet nun die Basis, ob sie einem fertig ausverhandelten Koalitionsvertrag zustimmt und ein Kabinett Merkel drei mit der SPD als Juniorpartner zulässt. Ein Novum in der Bundesrepublik.

Bei einem Nein wird die Station zur Endstation für Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles. Die Architekten der Großen Koalition müssten zurücktreten. Die Partei stünde vor einem Scherbenhaufen, das Land vor Neuwahlen. Europa hätte eine Lokomotive ohne Lokführer, neue Instabilität wäre die Folge. Daran will in Berlin niemand denken.

Alle gehen davon aus, dass die Urabstimmung die Bahn frei macht für Schwarz-Rot. Dann können CDU, CSU und FDP am Sonntag ihre Ministerliste verkünden und die Regierung sich am Dienstag vereidigen lassen. Die Schätzungen liegen bei 60 bis 70 Prozent Jastimmen. Dafür spricht die hohe Beteiligung: Mit über 300.000 abgegebenen Stimmen haben fast zwei Drittel der Parteimitglieder mitgemacht. Das befürchtete Übergewicht schwer frustrierter „Wutgenossen“ dürfte ausbleiben.

Drohkulisse für Verhandler

Zwei Wochen lang leisteten die Parteigranden auf über 30 Regionalkonferenzen Überzeugungsarbeit. Um Argumente für das ungeliebte Bündnis waren sie nicht verlegen: Dank der Drohkulisse des Mitgliederentscheids hatten die SPD-Verhandler weit mehr herausgeholt, als ihnen angesichts der schwachen Zustimmung der Wähler zustand. Mindestlohn, Frühpension, Mietpreisbremse: Außer Steuererhöhungen, die Merkel verhinderte, gibt es kaum ein Thema, das sie in einem Neuwahlkampf noch als unerfüllte Forderung plakatieren könnten. Bei den Reformen der Agenda 2010 ist der Rückwärtsgang eingelegt.

Hannelore Kraft, die Chefin des besonders störrischen Landesverbands Nordrhein-Westfalen, verlegte sich auf Kraftausdrücke, um das rüberzubringen: Die SPD habe „viel Scheiß gebaut“ und „wir haben jetzt die Chance, einen Teil von dem Scheiß rückgängig zu machen“. Gabriel kämpfte in seinen Reden gegen eine tief verwurzelte Angst an: dass die SPD in einer Koalition mit der Union zwangsläufig zerrieben werde. Tatsächlich hätten eigene Fehler wie der häufige Führungswechsel zum Wahldebakel von 2009 geführt. Aus der ersten „GroKo“ Ende der 1960er-Jahre ging die SPD sogar gestärkt hervor, ebnete den Weg für Willy Brandt. Die Botschaft kam an. Die meisten Teilnehmer fühlten sich nicht ganz überzeugt, aber doch überredet. Ein Restrisiko bleibt. Viele „passive“ Mitglieder gingen nicht zu den Veranstaltungen. Die „Jusos“ lehnten den Koalitionsvertrag ab. Bei einem „Nein“ der SPD-Basis würde Merkel wohl nochmals Gespräche mit den Grünen führen. Die aber befinden sich weiter in der Selbstfindungsphase und müssten den Preis noch höher treiben. Ein rot-rot-grünes Bündnis inklusive Linkspartei hätte zwar eine hauchdünne Mehrheit, aber mit einer SPD, die sich selbst massiv geschwächt hat, wohl keine Chance. Damit bliebe nur eine fragile Merkel-Minderheitsregierung – de facto also baldige Neuwahlen.

Immerhin: Eine Entscheidung ist schon am Freitag gefallen. Die Gesellschaft für deutsche Sprache wählte „GroKo“ zum Wort des Jahres. In ihrem Anklang an „Kroko“, das Krokodil, konnotiere die Abkürzung „eine halb spöttische Haltung zu dem sich abzeichnenden Regierungsbündnis“.

AUF EINEN BLICK

SPD. Am Samstagnachmittag fällt in Berlin die Entscheidung über die Große Koalition, sobald die Auszählung des SPD-Mitgliedervotums beendet ist. Parteichef Sigmar Gabriel wird das Ergebnis verkünden. Eine Zustimmung der Basis ist bindend für die Bildung einer Regierung. Mehr als 300.000 SPD-Mitglieder (rund zwei Drittel) beteiligten sich an der Urabstimmung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2013)

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