Chile: Michelle Bachelets "Revolution"

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Die Sozialistin wurde zum zweiten Mal zur Präsidentin gewählt. Nun will sie das Wirtschaftssystem radikal reformieren - und verspricht "fairere Umverteilung" des Reichtums.

Buenos Aires/Santiago. Am Ende war alles mehr als deutlich: Mit gut 62 Prozent gewann die Sozialistin Michelle Bachelet (62) die Stichwahl um Chiles Präsidentenamt gegen die konservative Kandidatin. Das ist das beste Ergebnis seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie 1990. Die Kinderärztin und dreifache Mutter ist die dritte politische Persönlichkeit in Chiles Geschichte, die das oberste Amt zum zweiten Mal erringen konnte – und die erste Frau, der das gelang.

„Erziehung ist keine Ware!“

„Wir haben heute viel erreicht“, sagte Bachelet auf der Siegesfeier. „Und genau deshalb müssen wir uns noch höhere Ziele setzen. Wir müssen grundlegende Veränderungen bewerkstelligen.“ Unter dem Beifall vieler Delegierter der Sechs-Parteien-Formation Neue Mehrheit wiederholte die Wahlsiegerin die wichtigsten Botschaften ihrer Kampagne: „Die Erziehung ist keine Ware, die Träume unserer Bürger sind keine Wirtschaftsgüter! Wir haben jetzt den Zuspruch der Wähler, die parlamentarischen Mehrheiten und die wirtschaftliche Situation“, die es brauche, um einen Wandel in dem Lande zu bewerkstelligen.

Dabei steht die Andenrepublik auf den ersten Blick sehr gut da, das Durchschnittseinkommen ist mit 19.500 Dollar im Jahr das höchste Lateinamerikas, die Wirtschaft wuchs während der letzten vier Jahre um durchschnittlich 5,5 Prozent, ein Prozentpunkt mehr als der Rest des Kontinents, die Arbeitslosigkeit lag bei 5,7Prozent. Werte, von denen viele EU-Staatschefs nur träumen können.

Warum die Chilenen dennoch die regierende konservative Alianza abwählten, wird erst deutlich, wenn man die Zahlen genauer ansieht: Superreiche schneiden sich einen erheblichen Teil dieses Kuchens ab. Laut einer Studie sichert sich der wohlhabendere Teil der Bevölkerung 31Prozent des gesamten Volkseinkommens. Dieser Anteil ist um zehn Prozent höher als in den USA. In Deutschland liegt der Vergleichswert bei zwölf Prozent. Mehr als die Hälfte aller Arbeiter bringen weniger als 345 Euro im Monat heim. Generaldirektoren großer Konzerne verdienen über 100-mal mehr als die Arbeiter der untersten Lohnklassen. Gleichzeitig sind Erziehungs- und Gesundheitssystem ebenso teuer wie Straßen und öffentliche Verkehrsmittel. Dafür ist das Steuersystem großzügig, vor allem mit Vermögenden. Das aus Zeiten der Militärdiktatur übernommene Wirtschaftsmodell ist an seine Grenzen gestoßen: Die Mehrheit der Chilenen verlangt eine bessere Verteilung der Mittel. Genau das hat Bachelet versprochen, sie will die Ober- und Hochschulbildung wieder unter staatliche Kontrolle bringen und die zahlreichen Privat-Unis schließen, die gleichsam wertlose Diplome produzieren. Finanziert werden soll das durch eine Reform des Steuersystems, das die Schlupflöcher für Reiche und Superreiche schließt.

Bei allem Jubel am Wahlabend war den meisten Anwesenden klar, dass es nicht einfach werden wird, aus dem Laboratorium für liberale Wirtschaftspolitik einen Sozialstaat skandinavischen Typs zu machen. Das liegt vor allem daran, dass Bachelets Koalition trotz Mehrheiten bei der Parlamentswahl im November nur 68 der 120 Sitze im Kongress erobern konnte. Das auch aus der Militärzeit stammende Wahlrecht bevorzugt die konservativen Parteien.

Bachelets bunte Koalition

Außerdem wird Bachelet, die am 11.März die blau-weiß-rote Amtsschärpe vom konservativen Amtsinhaber, Sebastian Piñera, übergestreift bekommen wird, allerhand zu tun zu haben, um die eigenen Reihen zusammenzuhalten: Ihre Formation besteht aus einem bunten Regenbogen, der von den Christdemokraten bis zu den Kommunisten reicht. Erstmals seit Ende der Diktatur hat sich die KP aus ihrer Totalopposition von links wegbewegt. In Chiles linkem Spektrum erhoffen viele eine Version der „breiten Front“, die seit 2005 Uruguay regiert, mit einem deutlichen Akzent auf sozialem Ausgleich, aber ohne investorenverschreckenden Populismus. Doch eine solche Formation könnte die Christdemokraten in eine Sinnkrise bringen.

ZUR PERSON

Michelle Bachelet (62) ist die Tochter eines Luftwaffengenerals, der sich dem Putsch Augusto Pinochets widersetzte und zu Tode gefoltert wurde. Bachelet flüchtete mit ihrer Mutter erst nach Australien, später in die DDR. 2006 wurde die Kinderärztin und Sozialistin zur Präsidentin Chiles gewählt. [ Imago ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2013)

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