Ein Weihnachten in Angst für Ägyptens Kopten

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EGYPT BELIEF POLITICS(c) EPA (THE COPTIC CATHEDRAL / HANDOUT)
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Die größte christliche Gemeinschaft Ägyptens feiert heute das Weihnachtsfest. Seit dem Sturz von Präsident Mursi sehen viele Islamisten in ihnen einen Sündenbock.

Kairo. Die Augen der Kinder glänzen vor dem winzigen Weihnachtsbaum aus Plastik, der einzigen festlichen Dekoration, den sich die koptische Familie Milads im Armenviertel Imbaba in Kairo leisten kann. Der Baum steht ganz schief auf dem Sofa im Raum, blinkt wild in allen Farben und droht jederzeit umzufallen. Ägyptens Kopten, die zehn Prozent der Bevölkerung des Nil-Landes ausmachen, feiern ihr orthodoxes Weihnachtsfest am 7. Jänner.

Auf der anderen Seite des Raumes steht ein überdimensionaler verbeulter Gasofen, der gerade für die Weihnachtskekse vorgeheizt wird. Afaf, Milads Frau, knetet den Teig in einer Plastikschüssel, bevor sie ihn in kleinen Portionen auf das Blech legt. Die vier Kinder betteln schon jetzt, um ein wenig vom Teig abzubekommen. Doch die festliche Atmosphäre trügt. „Ich habe meiner Familie verboten, zur Weihnachtsmesse zu gehen, aus Angst vor möglichen Anschlägen“, erzählt Milad, der als Fahrer arbeitet. „Wir können auch zu Hause beten.“ Er hat Angst, dass in der polarisierenden Lage des Landes die Islamisten ihren Ärger an den Christen auslassen könnten.

Proteste der Muslimbrüder

Vor seinem Haus demonstrieren jeden Freitag die Muslimbrüder gegen den Militärputsch, der ihren Präsidenten Mohammed Mursi entmachtet hat. „Die gehören alle eingesperrt“, meint Milad. Aber auch er weiß, dass das illusorisch ist, wenngleich er den ägyptischen Militärchef Abdel Fattah al-Sisi unterstützt, in der Hoffnung, dass das alles irgendwie besser wird. Wie genau? Milad schüttelt den Kopf. Er weiß nur, dass das sein bisher schlimmstes Weihnachten ist, wie er sagt. Im Hintergrund haben sich die Kinder inzwischen um den Ofen versammelt. Die Kekse sind fertig gebacken.
Es ist nicht das einzige koptische Weihnachtsfest der vergangenen Jahre in Ägypten, das in einer angespannten Situation stattfand. In der Silvesternacht 2010/2011 kamen bei einem Bombenanschlag auf die Al-Qadissin-Kirche in Alexandria 20 Menschen ums Leben, wenige Tage vor dem Weihnachtsfest und wenige Wochen vor dem Sturz des Langzeitherrschers Hosni Mubarak. Es gibt Hinweise, dass die Staatssicherheit hinter dem Anschlag steckte. Der Staat unter Mubarak hatte immer wieder mit der Kopten-Frage gespielt, um seine eigene Hegemonie abzusichern.

Im Jahr darauf versuchten die Kopten zu Weihnachten ein Massaker zu verarbeiten, das das ägyptische Militär wenige Wochen zuvor bei Maspero, vor dem staatlichen Fernsehgebäude in Kairo, angerichtet hatte. Bei einer überwiegend koptischen Demonstration kamen mindestens 27 Menschen ums Leben, als das Militär mit gepanzerten Fahrzeugen über die Demonstranten fuhr.

Doch das geriet unter den Kopten in Vergessenheit, als sich ihr politischer Albtraum materialisierte und Muslimbrüder und Salafisten die Wahlen gewannen. Das nächste Weihnachtsfest fand unter dem Muslimbruder-Präsidenten Mohammad Mursi statt. Unter den Kopten ging die Angst vor einer weiteren Islamisierung des Staates um, angeheizt von Hetze gegen Christen durch Teile der Islamisten und einer Verfassung, in der die Kopten erneut ihre Bürgerrechte nicht garantiert sahen.

Mehrheit der Kopten war für Putsch

Doch endgültig verschlechtert hat sich die Lage der Kopten, seit das Militär Präsident Mursi entmachtet und der Sicherheitsapparat vor einem halben Jahr mehrere Protestlager der Muslimbrüder auf blutige Weise aufgelöst hat. Laut ägyptischen Menschenrechtsorganisationen sind seitdem über 2600 Menschen umgekommen, mehr als beim Aufstand gegen Mubarak und überwiegend Anhänger des entmachteten Präsidenten Mursi. Diese zeigten mit dem Finger auch auf die Christen, die sich mehrheitlich hinter den Putsch gestellt hatten. Allein in einer Woche im August griff ein Mob über 100 christliche Einrichtungen vor allem im südlichen Oberägypten an. Die ägyptischen Christen wurden nach dem brutalen Vorgehen gegen die Islamisten zum „Sündenbock“, schreibt Amnesty International.

„Doch die Kopten sind weitgehend bereit, diesen Preis zu bezahlen, in der Hoffnung, dass ihre Lage in Zukunft besser wird“, erklärt Ishaq Ibrahim, der für die ägyptische Menschenrechtsorganisation für Persönlichkeitsrechte die Übergriffe gegen Kopten recherchiert. „Die meisten Christen stehen auch hinter dem Militärputsch und dem brutalen Vorgehen des Sicherheitsapparates gegen die Muslimbruderschaft“, sagt er.

Deswegen würden sie in etwas mehr als einer Woche auch weitgehend für einen neuen Verfassungsentwurf stimmen, in dem einige Punkte der Hardliner-Interpretation zur Scharia des unter Mursi verabschiedeten Entwurfs herausgenommen worden sind. Wenngleich der Paragraf, laut dem die Prinzipien der Scharia die Grundlage der ägyptischen Gesetzgebung darstellen, auch im neuen Entwurf steht.

„Keine Alternative“ für die Christen

„Die Christen stehen hinter der Armeeführung, vor allem, weil es für sie keine vernünftige Alternative gibt. Alle zivilen Alternativen, ihre Rechte zu garantieren, sind gescheitert“, erklärt Ibrahim. Dabei macht er sich aber keine Illusionen. „Weder unter Mubarak, noch unter den Muslimbrüdern, noch unter dem Militär“, sagt er, „wurden bisher die Bürgerrechte der Christen wirklich garantiert.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2014)

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